Nach Amerika! Zweiter Band | Page 9

Friedrich Gerstäcker
sich noch immer nicht
zeigen wollte. Damit hatten sie aber auch vor der Hand übrig genug zu
thun, denn dem fehlte ein Koffer, dem war ein Schloß von seiner Kiste
abgerissen, oder der Deckel eingedrückt worden; der Eine hatte noch
dies in der Stadt vergessen einzukaufen und mochte nicht mehr
hinauslaufen, aus Furcht die Abfahrt zu versäumen, der Andere das im
Gasthaus liegen lassen und die Menschenmenge wogte und drängte
durch einander hin, schimpfend und fluchend hier, lachend und
pfeifend oder singend da, während neue Karren mit Gepäck noch jeden
Augenblick dazu kamen, die Verwirrung, wenn das überhaupt möglich
gewesen wäre, zu vergrößern.
Die einzige, vollkommen unbewegliche Person in diesem Chaos von
Menschen und Gepäck saß auf einem Haufen von Kisten die zuerst
hergeschafft und übereinander gethürmt waren, mit unterschlagenen
Beinen regungslos oben darauf, und schien die Confusion unter und um
sich mit ordentlichem Wohlgefallen, jedenfalls mit vollständiger
Gemüthsruhe zu betrachten.
Es war eine, was man so von unten erkennen konnte, vierschrötige
derbe und untersetzte Gestalt, jedenfalls den unteren Volksklassen
zugehörig, und doch auch wieder mit einem gewissen Selbstbewußtsein
in den rauhen, nichts weniger als schönen Zügen, als auch in der
ganzen Haltung, wie man es nicht immer bei diesen findet. Der Mann
mochte ungefähr fünf- bis achtundvierzig Jahre alt sein, und der
Ausdruck seines lederartigen faltigen Gesichts hatte, gleich auf den
ersten Blick eine so merkwürdige und auffallende Aehnlichkeit mit
einem großen Affen, der mit unerschütterlichem Ernst vor einer
Menagerie sitzt, und das Wogen und Treiben der Menge unter sich
betrachtet, daß wenige der Passagiere, so viel sie heut Morgen mit sich
selber zu thun haben mochten, an ihm vorübergingen, ohne überrascht

ein paar Secunden vor ihm stehn zu bleiben und ihn zu betrachten, oder
sich gegenseitig ein paar erstaunte Bemerkungen zuzuflüstern. Die
Mädchen besonders warfen oft verstohlene Blicke zu ihm hinauf, und
kicherten dann miteinander. Jedenfalls mußte er das bemerken, aber er
verzog keine Miene, oder wandte auch nur einmal den Kopf nach einer
der Gruppen um, sondern paffte in kurzen, regelmäßigen Zügen den
Rauch aus einer kleinen schmutzigen, abgegriffenen Pfeife, mit einem
großen Porcellankopf, und glich, dies einzige Lebenszeichen
abgerechnet, wirklich einer ausgestopften und dort oben zur Verzierung
des Ganzen hingesetzten Figur. Er trug dabei einen einmal grün
gewesenen, Ziemlich abgescheuerten Rock, der besonders auf den
Schultern ordentlich grau und glänzend aussah, als ob er da oben ganz
vorzüglich benutzt worden; eine erbsgelbe, bis an den Hals hinauf
zugeknöpfte gesprenkelte Weste, ein schwarzes Halstuch, das
eifersüchtig auch den geringsten Schimmer von Wäsche verdeckte,
braun und grün gewürfelte Hosen, große nägelbeschlagene Schuh und
einen, in eine Unzahl von Formen hineingedrückten alten haarlosen
und an den Rändern hellgrau gescheuerten Filzhut, unter dem nur hie
und da dünne, straffe und blonde Haare hervorschauten. Rasirt hatte er
sich ebenfalls, wahrscheinlich seit seinem Entschluß nach Amerika
auszuwandern, nicht, und die weißgesprenkelten Stoppeln die sein
breites vorgehendes Kinn umgaben, paßten vollkommen zu der flachen,
wie eingedrückten Nase, den kleinen grauen Augen, vorgehenden
Backenknochen und der niederen Stirn, die sich scharf nach rückwärts,
wie scheu unter den Hut hinunterzog.
So ruhig und anscheinend theilnahmlos aber auch dies Individuum dem
allgemeinen Wirrwarr zuschaute und sich vollkommen geduldig in Zeit
und Umstande geschickt hatte, so ungeduldig wurden die übrigen
Passagiere, als es jetzt vom Dome her sechs Uhr dröhnte und das, eine
Strecke weiter oben liegende Dampfboot, sein Deck mit Passagieren
gefüllt, an ihnen vorbeipuffte. Dabei ließ sich noch nicht die Spur von
einem »verdeckten Flußschiff« wie es sich die Passagiere gedacht, an
der Landung blicken, und nur ein kleiner Weserkahn, wie sie dort
überall zum Waarentransport gebraucht werden, lag gerade quervor an
der bezeichneten Straße, dem Platz genau gegenüber wo ihre Waaren
aufgestapelt worden, und der Kahnführer, ein hagerer dünner Gesell,

mit furchtbar langen Armen und großen Händen, von denen man gar
nicht begriff wie er sie je durch die Aermel seiner Jacke gebracht oder,
da sie nun einmal darin waren, wie er sie wieder herausbringen wollte,
ging auf dem Deck seines kleinen Fahrzeugs auf und ab. Mehrmals
versuchte er dabei die Hände in die Taschen seiner dunkelblauen
sogenannten Lootsenjacke zu bringen, aber umsonst, sie gingen nicht
hinein, und er schlenkerte sie dann wieder »zu beiden Borden« herunter
und spuckte, seinen Taback dabei kauend, den braunen ekelhaften Saft
regelmäßig einmal über Stürbord und dann über Backbord ins Wasser
hinüber.
[]
Capitel 2
»Sie da -- lieber Freund« redete ihn endlich Einer der Passagiere an, der,
in einen grauen weiten Ueberrock geknöpft, bis jetzt seiner Ungeduld
in einer verwirrten Masse von Flüchen und Verwünschungen Luft zu
machen gesucht, und das kleine Fahrzeug schon lange ärgerlich
betrachtet hatte.
Der Matrose, oder was er sonst war, warf einen Blick über die Schulter
nach ihm hinüber, aber ob er nun glaubte daß die Anrede ihm nicht
gelte, oder sie nicht beachten wollte, kurz er setzte seinen Spatziergang
an Deck ruhig fort
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