Nach Amerika! Zweiter Band | Page 6

Friedrich Gerstäcker
sah den Mann ein
paar Secunden starr an, als ob er nicht recht begriffen hätte was er
sagte.
»Na, werd's bald?« rief aber dieser, ärgerlich aufbrausend, aber doch so
leise daß es selbst die an den nächsten Tischen Sitzenden nicht
verstehen konnten -- »ist es dem jungen Herrn gefällig, oder soll ich
ihn etwa aufwecken?«
»Ja ja, Vater!« rief der Knabe jetzt, rasch und erschreckt emporfahrend
-- »wollen wir denn noch singen heute Abend?« setzte er aber
langsamer und fast wie ängstlich hinzu.
»Wolle wir denn noch singen?« wiederholte der Alte spöttisch und
ärgerlich, »Gottes Wunder, glaubt der junge Herr daß ich ihn Abends in
die Wirthshäuser führe zu seinem Vergnigen? -- wolle wir denn noch
singen? Abraham und Jacob, was ist das for a Frog.«

Der Knabe war übrigens schon bei den ersten ärgerlichen Worten des
Alten von seinem Stuhle aufgesprungen, und sich die Locken aus der
Stirn streichend, machte er sich eifrig daran, das auf dem Tisch
liegende Packet aufzuknüpfen, und den Inhalt auf der Tafel desselben
auszubreiten. Hierbei war ihm der Alte behülflich, und ordnete jetzt
selber eine Masse mit einander leicht verbundener Stöcke oder Stäbe
von weichem Holz, die, manche stärker, manche schwächer, mit einer
Unterlage von dünn- aber festgedrehten Strohseilen auf den Tisch an
beiden Enden auf- und in der Mitte hohlzuliegen kamen.
»Hallo was ist das?« rief Steinert, der dem Tische zunächst saß und die
wunderlichen Vorbereitungen bemerkte -- »eine Holzharmonika,
wahrhaftig -- ah, meine Herren, jetzt werden wir etwas zu hören
bekommen; die klingt famos, wenn sie der alte Bursche da nur zu
spielen versteht.«
»Werd' er sie nicht zu spielen verstehn -- spielt sie schon
fünfundzwanzig Jahr« schmunzelte der Alte vergnügt vor sich hin --
»nu Philippche, mei Jingelche jetzt paß auf, und fall mer ein zur
rechten Zeit mit der Flöte.« Zugleich die beiden, ihm zur Hand
liegenden Klöppel ergreifend, fuhr er mit rascher geübter Hand über die
eigenthümlichen Tasten hin, denen er dabei einen nicht zu lauten, aber
wunderbar harmonischen vollen Ton entlockte. Wie Glockenspiel
klangen die Laute, die entfernteren Räume mit ihrem Wohlklang
füllend, und die Gäste, nach allen Richtungen hin horchten hoch auf,
vergaßen von was sie gesprochen, und kamen heran, den Tisch
umdrängend, an dem der alte Jude spielte.

»So Philippche, nu fang an!« nickte er aber jetzt dem Knaben zu, der
bis dahin still und regungslos neben dem Tisch gestanden und sich
kaum der Leute hatte erwehren können, die ihn umpreßten; dabei fiel er
in die englische Volkshymne God save our gracious queen ein, die der
Knabe jetzt in der zweiten Stimme mit der Kehle, aber so täuschend
den vollen weichen Laut der Flöte nachahmend, begleitete, daß die
Zuhörer wirklich in den ersten Minuten ganz die Harmonika vergaßen
und noch näher hinanwollten, nur um zu sehen ob der junge Bursche

nicht wirklich eine Flöte habe auf der er spiele, und das Alles allein aus
der eigenen Kehle herausbringe.

Der alte Mann, den der Zudrang freute, denn er bewies ihm die
Theilnahme der Hörer und ließ ihn auf gute Einnahme rechnen, fuhr
dabei mit großer Leichtigkeit und Sicherheit über die fibrirenden
Tasten, und seine ganze, erst so ruhige in sich gesunkene Gestalt schien
mit den Tönen Leben zu gewinnen, und aus sich herauszugehn. Es war
eine kleine schmächtige, aber zähe und knochige Gestalt, der Mann in
dem schwarzen, schmutzigen Kastan; über die scharf gebogene Nase
zog sich ihm eine tiefe dunkle Falte, und zwei schwarze Gruben in den
hohlliegenden Wangen hoben die dunkelglühenden, unstet
umherblitzenden Augen nur noch mehr hervor, und verloren sich in
dem fuchsigen, sorgfältig gekämmten langen und spitzen Bart, der nur
am Kinn in den schon weiß gewordenen Haaren das Alter des Mannes
verrieth.
Der Knabe war, wie schon gesagt, etwa zwölf bis dreizehn Jahre alt,
trug aber nicht die polnische Tracht, sondern einen gewöhnlichen Rock
und eine blaue Mütze, die er neben sich auf dem Tisch liegen hatte,
während der Mann sein altes schmutziges abgegriffenes
Sammetmützchen aufbehielt. Das zwar bleiche doch wirklich schöne
asiatische regelmäßige Gesicht des Kindes -- denn es konnte kaum über
die Kinderjahre hinaus sein, blieb aber kalt und theilnahmlos bei den
weichsten, ergreifendsten Tönen seiner eigenen Brust und, ohne Seele,
beherrschte er mit wunderbarer Gewalt fast, die mächtige Stimme, die
sich oft zu einer Stärke hob, daß die Umstehenden ihr lautes Erstaunen
nicht zurückhalten konnten, und dann in stürmischen, donnernden
Beifall ausbrachen. Mit unnatürlicher Gewalt mußte der Knabe dabei
seine Stimme, die Töne der Flöte nachzuahmen, zu ihrer höchsten Lage
hinaufzwingen, und der Schweiß stand ihm auf der weißen Stirn in
großen Tropfen, solche Anstrengung kostete es ihm. Aber der Alte
spielte unverdrossen fort -- jetzt »Lützow's wilde verwegene Jagd« wie
es Einzelne der Gesellschaft wünschten, und dann »des Deutschen
Vaterland« nach Anderer Ruf; dann den Jägerchor, und die neueste
Polka, und Trinklieder zuletzt, zu denen sie ihm und
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