Nach Amerika! Zweiter Band | Page 5

Friedrich Gerstäcker
Kopf schüttelte.
»Dann ist also keine Gefahr daß wir das Schiff versäumen, wenn wir
bis morgen früh hier bleiben?« frug die Frau Professorin. Herr
Mehlmeier nickte ihr aber sehr bedenklich zu und sie frug rasch -- »Sie
glauben doch?«
»Bitte um Verzeihung -- Gott bewahre« sagte der dicke Mann
erschreckt. -- Das Gespräch wurde aber hier durch den Professor selber
unterbrochen, der in diesem Augenblick den Saal betrat und noch unter
der Thür zwei Zimmer für sich und die Seinen mit den nöthigen Betten,
bestellte. Der Oberkellner war ihm darin aber schon zuvorgekommen,
und trotzdem daß Herr Steinert jetzt mehre Anläufe nahm ein Gespräch
mit Professor Lobenstein anzuknüpfen, und sich ihm als alten
Bekannten vorzustellen, hatte dieser doch zu wenig Zeit sich, außer
einigen höflich gewechselten Worten, mit ihm näher einzulassen. Die
Frauen waren müde und erschöpft, und das Gepäck mußte nach oben
geschafft werden, wo der Professor selber seinen Thee trinken wollte;
so jede weitere Unterhaltung auf den nächsten Morgen verschiebend,
empfahlen sich die Neugekommenen, und verschwanden gleich darauf
mit den voranleuchtenden Kellnern in den Gängen der ersten Etage.

In dem Gastzimmer des Hannöverschen Hauses begann aber jetzt erst,
trotz der späten Stunde, ein reges geselliges Leben. Viele der
Passagiere der Haidschnucke, wie noch mehrer anderer Schiffe deren
Abreise theils auf morgen, theils auf die nächsten Tage angekündigt
worden, hatten sich hier zusammengefunden und feierten unter Lachen
und Singen, mit Bier oder Champagner, und lustigen fröhlichen Plänen
für »da drüben,« den »letzten Tag in der Heimath« wie sie's nannten.

»Den letzten Tag in der Heimath« -- wie leicht, wie lustig sie das
sprachen, und wie laut und fröhlich die Gläser dazu klirrten, und die
Stimmen einfielen in den donnernden rauschenden Chor ihrer
heimischen Lieder. Den letzten Tag in der Heimath; und für wie Viele
war es der letzte Tag -- wie Wenige von allen denen, die jetzt
jauchzend das neue fremde Leben begrüßten, und die Erinnerung in
Strömen Weins verschwemmten, sollten die Heimath wirklich
wiedersehn, nach der doch alle Fasern ihres Herzens zurück sich
sehnten viele Jahre lang. »Der letzte Tag in der Heimath« oh es denkt
sich leicht, mit all den wundertollen Bildern, die unsere Phantasie sich
aufgebaut, gewissermaßen schon in Sicht -- in Arms Bereich. Mit dem
alten Leben abgeschlossen hinter sich, voll Ungeduld dem Augenblick
entgegensehend wo sie das neue beginnen dürfen und können, ist ihnen
das Vaterland nur noch das letzte Sprungbret, von dem aus sie mit
keckem fröhlichem Satz einer neuen Welt in die Arme fliegen, und sie
feiern den Tag und die Stunde, vor deren Nahen sie Jahre lang gebebt --
oh daß sie nie den Tag beweinen müßten.
Die Fröhlichkeit der Auswanderer ist aber in solchen Fällen auch selten
eine ruhige, meist eine wilde, ausgelassene, wie das auch wohl kaum
anders der Fall sein kann; sie wollen nicht zurückdenken an das was
hinter ihnen liegt, und das Nöthigste was sie dabei zu thun haben, ist
die Gedanken zu betäuben, die ihnen oft dennoch ins Hirn steigen, sie
mögen sie eben haben wollen oder nicht.
Eine Menge der jungen Leute waren an dem Abend noch einmal im
Theater gewesen, in der fremden Stadt irgend ein altes bekanntes Stück
aufführen zu sehen, und saßen jetzt bei ihrem Abendessen und Wein,
und sprachen und stritten sich über die Aufführung, als ob sie nur eben
deretwegen allein nach Bremen gekommen wären. Dort in der Ecke
rechneten ein paar, die wahrscheinlich gemeinsame Casse mit einander
hatten, und jetzt ihre gehabten und zu habenden Auslagen wohl
durchsahen; die meisten aber lachten und plauderten mit einander und
tranken und sangen noch, heimische Weine und Lieder bis spät in die
Nacht hinein.
Ganz still und geräuschlos war indessen ein alter polnischer Jude in

seiner Nationaltracht, dem langen schwarzen schmutzigen seidenen
Kastan, mit einem Knaben von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren
hinter sich, ebenfalls in das Gastzimmer gekommen, und hatte sich an
einem der leer gewordenen Seitentischchen ein Glas Bier geben lassen,
von dem er in langsamen, durstigen Zügen trank. Der Knabe trug ein,
in ein rothbaumwollenes Tuch eingeschlagenes Packet unter dem
linken Arme, das er neben sich auf den Tisch legte und sich dann
zurück auf seinen Stuhl setzte, den Kopf auf die Lehne desselben lehnte,
und die Augen ermüdet schloß. Das grelle Licht der Lampen fiel voll
auf die bleichen, von schwarzen vollen Locken umwogten Züge, und
der sonst wirklich schöne Kopf des Kindes bekam, auch vielleicht mit
in der unnatürlichen zurückgeworfenen Lage, etwas unheimlich
Krankhaftes, ja fast Leichenartiges.
»Komm Philipp« sagte der Alte, als sie eine Weile so gesessen hatten,
mit unterdrückter Stimme, indem er den jungen Burschen mit dem
Fuße anstieß -- »es werd spät, pack die Harmonika aus und laß uns
anfange. Die Leut' hoben hier viel getrunken und sind guter Laune;
werd auch 'was für uns dabei abfalle.«
Der Knabe öffnete die großen schwarzen Augen und
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