Nach Amerika! Zweiter Band | Page 2

Friedrich Gerstäcker
mir zu sagen, um welche Tageszeit
die Haidschnucke morgen segelt« sagte der Professor, froh endlich an
den rechten Mann gekommen zu sein, »und ob ich noch zur rechten
Zeit komme, wenn ich jetzt Extrapost nehme und die Nacht durch nach
Bremerhafen fahre -- ich habe mich um einen Tag verspätigt und

möchte das Schiff nicht versäumen.«
»Extrapost nehmen?« frug die Stimme oben erstaunt; »morgen früh um
sechs und Mittags um elf geht ja ein Dampfboot nach Bremerhafen,
warum wollen Sie denn nicht mit dem fahren?«
»Aber komme ich dann noch zur rechten Zeit?«
Die Stimme oben murmelte etwas, das der Professor unten nicht
verstehen konnte -- »sind Sie ein Passagier der Haidschnucke?« sagte
es dann wieder lauter.
»Aufzuwarten -- Professor Lobenstein aus Heilingen.«
»Ah -- bitte um Entschuldigung Herr Professor, daß ich Sie habe so
lange da unten stehen lassen. Marie machen Sie einmal unten die Thüre
auf.«
»Bitte, bitte« rief aber der Professor -- »ich will Sie keineswegs mitten
in der Nacht belästigen -- also komme ich noch früh genug wenn ich
morgen um sechs Uhr mit dem ersten Boot abfahre?«
»Die Haidschnucke wird wohl kaum vor Abend in See gehn -- der
Wind ist noch nicht ganz günstig« sagte der Baß oben -- »wenn Sie um
11 Uhr fahren haben Sie vollkommen Zeit -- das Schiff liegt vor Brake
und wird morgen früh noch einige verspätete Fracht an Bord nehmen.«
»Vor Brake?« wiederholte der Professor, mit der Geographie der Weser
noch nicht so weit bekannt.
»Der Hafen diesseit Bremerhafen« sagte der Baß -- »die Leute auf dem
Dampfboot kennen den Ort und das Schiff --«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden --«
»Bitte Herr Professor -- Sie werden entschuldigen --«
»Bitte sehr -- ich habe um Entschuldigung zu bitten --, Sie in so später
Nachtzeit noch gestört und belästigt zu haben.«

»Oh -- war mir sehr angenehm Ihre werthe Be --« das übrige
verschwamm in einem dumpfen, unverständlichen Murmeln, unter dem
sich das Fenster oben langsam wieder schloß, und der Professor
bedeutete seinen Führer, ihn so rasch als möglich, zu dem Hotel
zurückzubringen.
Lobensteins hatten dort indessen, so gut das in dem ziemlich besetzten
Speisesaal eben gehen wollte, einen der Ecktische in Besitz und Platz
daran genommen, und sich Thee und Butterbrod geben lassen, auf eine
mögliche Nachtfahrt mit Extrapost wenigstens in etwas vorbereitet zu
sein. Die beiden jüngsten Kinder, Carl und Gretchen mußten dabei im
Schlaf in die Stube getragen und konnten kaum munter erhalten werden,
noch etwas zu sich nehmen, und legten sich dann mit den Köpfchen,
Carl auf den Tisch und Gretchen in Mutters Schooß -- weiter zu
schlafen.
Der Aufenthalt in dem großen, heißen Saale, mit den vielen Menschen,
dem lauten Reden und Lachen und dem fast undurchdringlichen
Tabacksqualm, die ganze fremde Umgebung dazu mit dem
unbestimmten Gefühl das Schiff, mit dem ihre sämmtlichen Sachen
befördert worden, am Ende gar schon versäumt zu haben, auch das
übernächtige einer späten Fahrt, auf der mit bleierner, peinlicher
Schwere der kaum überstandene Abschied aus der Heimath lag, das
Alles vereinigte sich sie niederzudrücken und ernst und traurig zu
stimmen, und das einfache Abendbrod wurde still und schweigend
verzehrt. Jedes war mit seinen eigenen Gedanken viel zu sehr
beschäftigt sich dem Andern mitzutheilen.
Nur Eduard, Professor Lobensteins ältester Sohn, der einzige vielleicht
von der ganzen Familie, der sich wirklich auf die Reise freute und gern
das regelmäßige, ihm entsetzlich langweilig vorkommende Schulwesen
verlassen hatte, einem anderen, freieren Lebensberuf zu folgen, gab
sich in dem Reiz der Neuheit, der die Jugend über so Manches
hinwegsetzt, den fremdartigen Eindrücken selbst mit einigem Behagen
hin. Die Rücklehne seines Stuhles gegen die Wand lehnend,
überschaute er die bunten, sich vor ihm wie auf einem aus der Erde
heraufbeschworenen Theater bewegenden Gruppen, und lauschte den

sich fast sämmtlich um Amerika und die Reise drehenden Gesprächen
der ihm nächsten Gäste und Fremden, bis sein Blick endlich auf einen
kleinen Mann fiel, der ihnen gerade gegenüber und das Gesicht ihnen
zugewendet, seinen Platz genommen hatte, und sie auf das
aufmerksamste zu betrachten schien.
Der Fremde saß verkehrt auf seinem Stuhl, die Arme auf die Lehne
desselben und sein Kinn wieder auf diese stützend, und schien sich in
der That von der übrigen Gesellschaft ganz zurückgezogen oder
abgewandt zu haben, und die neuangekommene Familie auf das
Genauste zu betrachten.
Es schien übrigens, wie er so da saß, ein kleines schmächtiges
Männchen von vielleicht vierzig bis vierundvierzig Jahren, mit grauer
runder Mütze und schwarzem vorn fast spitz zulaufendem Schild,
grauem Frack, grauer Hose, grauer Weste, grauem Halstuch und grauen
Zeugstiefeln, in der linken Hand, lang zusammengefaltet, ein paar
graue Zwirnhandschuh. Die kleinen lebhaften Augen funkelten dabei
scharf und forschend unter dem spitzen ziemlich tief niedergezogenen
Mützenschilde vor, und hafteten so lang und so forschend erst auf dem
jungen Mann, dann auf der Mutter und auf den Töchtern, bis er
Eduards Auge
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