Mutter und Kind | Page 8

Friedrich Hebbel
aber ich darf's
nicht wagen, und dennoch vergoß sie Oft schon Tränen davor, sie kann
in der Fürstin des Himmels Nur noch die glückliche Mutter erblicken
und ließe ihr willig Für den flüchtigsten Kuß des Kindes die ewige
Krone.
Wär' doch der Tag erst vorüber, besonders der Abend! Die
Domzeit3) Macht sie fast immer krank. Was schelt' ich den göttlichen
Künstler Und sein köstliches Blatt! Die quiekendste
Weihnachtstrompete, In der schmutzigsten Twiete4) vom garstigsten
Rangen geblasen, Tut ihr ja eben so weh! Die bunten, beleuchteten
Buden,
Welche den Gänsemarkt den ganzen Advent so beleben,

Schneiden ihr tief in das Herz. Sogar die Juden am Steinweg Mit den
Karren voll Tand entlocken ihr seltner das Lächeln
Halber Ergötzung,
nach dem ich oft Wochen vergebens mich sehne, Als den Seufzer des
Grams. Denn neben den scharfen Gesichtern, Die das häßliche Schreien
verzerrt, bemerkt sie noch immer
Auch die Öchslein und Esel von
Zinn, mit denen sie trödeln, Und um die sich begierig die Knaben und
Mädchen versammeln, Und da kehren sogleich die bittren Gefühle ihr
wieder.
Nun, es geht ja zu Ende! Wenn nur nicht heute gerade
Alles
so übel sich träfe! Der Affe ist nicht gekommen,
Weil das Schiff, das
ihn trug, verschlagen wurde, die Vögel Freilich sind eingetroffen, doch
scheinen sie krank, und ich werde Schon zufrieden sein, wenn sie nur
leben bis Neujahr.
Wäre die Blumenuhr nicht da, ich müßte
verzweifeln,
Denn hier fehlt es an nichts, und alles ist dreifach
vorhanden, Aber es wird sie zerstreun, es wird sie vielleicht gar
erfreuen, Wenn ihr die persische Rose, bis auf die letzte Minute
Fest

geschlossen, den Mittag, die türkische Tulpe den Abend, und der
Jasmin von Athos die Mitternachtsstunde verkündigt, Ja, es wird sie
erfreun, die Schritte des Tages an Düften
Abzuzählen und Farben, die
alle Wunder der Ferne
Vor die Seele ihr rücken! Er wiederholt es und
klingelt
Endlich dem Diener: ihm folgt sogleich auf dem Fuße der
Doktor, Welcher, des Hauses Freund und alter Vertrauter, sein
Vorrecht Braucht, und das um so eher, als er schon lange gewartet.
Ei, da sind Sie ja--ruft ihm der Kaufherr freundlich entgegen-- Ich bin
auch schon bereit, hier liegen in Gold und in Silber Ihre Summen, und
wollen Sie mehr, so kommen Sie wieder!
Nun verschonen Sie mich
mit Ihren Berichten, ich mag nicht
Wissen, wo Sie es lassen, ich mag
die Perlen nicht sammeln, Welche aus Freudentränen bestehen sollen,
ich müßte
Sonst auch den Ärger verwinden, wenn unser Pfenning
nicht wuchert, Wie er wohl könnte. Sie lächeln? Sie glauben, daß ich
nur scherze Oder mich selbst verleumde, weil jede Erfahrung mir
mangelt? Freund, ich habe sie nicht aus Grille gemieden! Sie zweifeln?
Kennen Sie wirklich das Herz des Menschen so wenig? Die Bäume,
Welche er pflanzt und begießt und säubert von Raupen und Würmern,
Werden ihm nimmer zu grün, doch leicht die Armen zu fröhlich, Und
ein Heiliger wird nicht jeder durch Essen und Trinken,
Welche ein
Märtyrer ist durch Hungern und Dursten und Frieren; Wen man aber
beschämt, den wird man zugleich auch erbittern. Darum soll man die
Kluft, die zwischen dem Geber und Nehmer Einmal besteht, durch
Milde nicht füllen wollen, man kann's nicht, Nein, man soll sie mit
Nacht, mit heiligem Dunkel bedecken, Und, wie der Ewige selbst, ins
tiefste Geheimnis sich hüllen. Denn es ist nicht genug, daß bloß die
Rechte nicht wisse,
Was die Linke tut, sie soll es auch selber
vergessen;
Reiche den Becher und wende dich ab, so wirst du
erquicken! Sie verhalten's darnach--entgegnet der Doktor mit
Rührung-- Sie entkleiden die Pflicht des einzigen Reizes und üben

Jede um Gottes willen, nur nicht die Stirne gerunzelt,
Heute müssen
Sie's hören, ich heiße seit Jahren das letzte
Unglück aller Heroen, und
meine verrufene Zunge
Schont auch so wenig den Cäsar, als
Bonaparte und Friedrich, Oder die hohen Poeten, die immer mit

Worten bezahlen,
Aber wenn ich das Große in Völkerwürgern und
Künstlern,
Wie sie auf Ihren Gesimsen zu Hunderten prunken im
Lorbeer, Auch nur selten entdecke, das Edle vermag ich zu schätzen,

Und, wer nie noch geschmeichelt, der scheint mir berufen, zu loben.
Wären Sie nur auch so glücklich, als gut! Wie ging es denn gestern?--
Aber der Kaufherr seufzt und spricht mit stockender Stimme: Nun, Sie
wissen's am besten, wie sehr die Woche der Kinder
Ihr die Hölle im
Busen entzündet, das Schlimmste ist aber,
Daß mit jeglichem Jahre
die Qualen sich steigern und mehren. Ehmals lenkte sie selbst vom
Weihnachtszimmer das Auge
Auf die Krankenstube, vom
Tannenbaum mit den Kerzen
Auf die Trauerweide hinüber und fand
sich getröstet:
Jetzt erblickt sie nur noch die festlichen Räume des
Jubels, Aber der Kirchhof rückt in immer weitere Ferne,
Und doch
stehen die Särge so nah an den Wiegen und werden,
Wie wir es selbst
schon erlebt, an teuren Verwandten und Freunden, Oft aus dem
nämlichen Baum vom nämlichen Meister gehobelt,
Ja, ich fürchte für
sie, ich will es nicht länger verhehlen, Und Sie fürchten sich auch,
obgleich Sie's mir nicht bekennen, Und so mag es wohl kommen, daß
sich der letzte
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