Mutter und Kind | Page 7

Friedrich Hebbel
Sahne gesotten, das hat er längst schon
berechnet, Und ein verständiger Mann verachtet nie die Erfahrung.

Jetzt sogar bleibt ihm noch Zeit, den Thermometer am Fenster Um den
Grad zu befragen, doch ist's ihm freilich nicht möglich, Auch nach der
Uhr zu sehn, die ihm zu Häupten am Bett hängt, Denn es wird ihm da
unten zu still, sie sind schon beim Trinken. Endlich huscht auch die
Zofe hinab, das Prasseln im Ofen
Hat sie herausgetrieben, doch sind
ihr die Augen noch immer Matt, und gleichen den Lichtern, die, nachts
in der Kälte beschlagen, Oder mit Wasser bespritzt, nicht brennen
wollen am Morgen.
Darum bemerkt sie's auch nicht, daß Magdalena
schon weinte, Sondern erkundigt sich bloß, ob keiner ihr Traumbuch
gesehn hat. Nur der Bediente fehlt, der muß die Klingel erst hören,

Aber er rühmt sich der Kunst, so flink in die Kleider zu kommen, Daß
er, wie schwach sie der Herr auch ziehn mag, immer schon fertig In das
Zimmer tritt, bevor noch die Glocke verhallte:
Und da darf er's schon
wagen, die Nachricht1) im Bette zu lesen. Dennoch irrt er gewaltig,
indem er das Knattern des Bodens, Welches er über sich hört, allein
dem Springen der Bretter
Zuschreibt, wenn sie auch mächtig im
klingenden Winter sich krümmen, Denn schon lange wandelt der
Kaufherr sinnend und schweigend In den Gemächern herum, die
königlich weit und geschmückt sind, Aber nicht mit Stolz, man sieht es
ihm an, und Behagen.
Vor dem Spiegel flammen in schweren
silbernen Leuchtern
Noch die Kerzen, sie sind zwar nicht mehr nötig,
doch mag er, Wie er sie angezündet, sie nicht auch selber noch löschen,

Und noch weniger scheint er den Diener schon rufen zu wollen. Jetzt
beschaut er die Blumen und fremden Gewächse, sie füllen Fast ein
ganzes Gemach, und alle Teile der Erde
Haben ihr Schönstes geliefert,
doch fesseln die schwellenden Knospen, Die er sonst wohl mustert, als
wär' er in Holland geboren
Und ein Bürger der Zeit, wo Zwiebeln die
Wechsel vertraten, Diesmal ihn nur wenig, ja selbst die geöffneten
Kelche
Hauchen ihm heute vergebens die heißen Düfte entgegen,


Welche den Papagei, er schließt vor Behagen die Augen
Und ist
betäubt und berauscht, zurück in die Heimat versetzen. Jetzt betrachtet
er sich die neue chinesische Vase:
Altoum selbst, der Drachen und
Schlangen erlauchter Gebieter, Hat sie in Peking nicht reicher, mit
Gold gefüllt bis zum Rande Wäre sie kaum bezahlt, so selten und rein
ist die Mischung
Und so brennend die Farbe! Man stellte in jedem
Museum
Einen Wächter daneben, doch er, in plötzlicher Wendung

Gegen ein Bild an der Wand, der Morgen beleuchtet's gerade, Stößt sie
vom Tisch herunter, und wenn er erschrickt, so geschieht es Bloß des
Geprassels wegen, das dennoch der türkische Teppich Mächtig dämpft,
denn er horcht, anstatt die Scherben zu sammeln Oder auch nur zu
beachten, mit angehaltenem Odem
Nach der linken Seite hinüber, wo
ihm die Gattin
Schlummert im Bett von Damast, und da's dort still,
wie zuvor, bleibt, Spricht er lächelnd: so war denn doch noch ein Glück
bei dem Unglück! Und, als hätte er nur die Kaffeetasse zerbrochen,

Tritt er gelassen und ruhig, nicht einmal den fegenden Schlafrock Erst
um den Leib sich gürtend und weiteren Schaden verhütend, Vor das
Gemälde hin. Es ist von Rahl2), und es zeigt uns
Marius unter den
Cimbern im grimmigen Würgen. Kein König
Hat es beim Meister
bestellt, nicht einmal der König der Juden, Auch kein reicher Prälat,
kein Julius oder ein Bembo,
Noch viel minder ein Junker, was
kümmern sie Künstler und Dichter, Aber der Handelsherr, obgleich
zum Patron nicht geboren,
Und von manchen bespöttelt, die mit ihm
rechnen und tauschen, Rief's ins Leben, sobald er in Wien die Skizze
erblickte,
Denn er sucht in Venedig und nicht in Karthago sein
Vorbild.
Freilich hält ihn auch dies, so sehr er es schätzt und bewundert, Heute
nicht lange fest. Er nickt zwar, erstaunend, wie immer, Dem gewaltigen
Stier, der eben den Römer gespießt hat,
Und der entsetzlichen Mutter,
die ihren eigenen Säugling
Unter die Feinde schleudert, doch greift er
nicht nach der Kerze, Um es heller zu sehn, obgleich das goldene
Tagslicht
Wieder verdüstert ward durch jenes graue Geriesel,

Welches nicht Nebel bleibt und auch nicht zu Schnee sich verdichtet
Und die Finsternis mehrt, die Kälte aber nicht mindert.
Nein, er

schreitet aufs neue von Zimmer zu Zimmer und heftet Bald auf die
Nipse den Blick, die Tische und Schränke ihm zieren, Bald auf Figuren
und Büsten und bald auf Stiche und Bücher. Alles besieht er und prüft's,
er späht begierig nach Lücken, Aber er findet sie nicht, und wenn sich
die Lust des Besitzes Auch in seinem Gesicht nicht eben spiegelt, so
zeigt es
Doch auch keinen Verdruß. Da fällt sein schweifendes Auge

Auf die Dresdner Madonna, mit ihrem lieblichsten Knaben,
Und
den reizenden Engeln, die Raphael malte, und eilig
Wendet er's
wieder ab, als sähe er, was ihn nicht freute,
Und sein ruhiger Ernst
verwandelt in Schmerz sich und Trauer. Wär' nur das Stück kein
Geschenk, ich würd' es noch heute entfernen, Spricht er,
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