Mutter und Kind | Page 6

Friedrich Hebbel

Cholera, wie sie sie heißen,
Und die Hungersnot wird folgen, sie
guckt um die Ecke.
Fault nicht schon die Kartoffel? So sagte der Alte

aus Bremen, Den sie den Mystikus nennen, und der uns Knechten und
Mägden Seine Gesichte verkündigt, und wahrlich: er hat nicht gefaselt!
Höre den Orgeldreher, wer will! Doch sieh wie dein Kessel
Siedet!
Auch haben die Pferde in meinem Stall wohl gefressen, Und je eher
daran, je eher davon. Bis zum Abend
Bin ich morgen zurück und
bringe Wilhelm das Seine,
Denn du würdest den Gang, geschweige
den Keller nicht finden, Dürftest dich auch nicht hineinbegeben, er
wimmelt von Schiffern Und von allerlei Volk, und was sie da suchen,
das weißt du. Heute ist er versehn!--Er reicht ihr die Hand hin zum
Abschied, Aber sie hält ihn fest, sie schaut ihm ins Auge und schüttelt
Kindlich den lockigen Kopf, im Anfang leise und schüchtern, Dann
geschwind und geschwinder, und da er noch immer nicht redet, Zieht
sie den Hochgewachsnen zu sich hernieder und bietet
Ihm, wie zum
Danke, den Mund. Er aber weigert sich lächelnd, Diesen Kuß zu
nehmen und spricht: Das wär' ein Gelöbnis,
Hier zu bleiben, und dies
vermag ich dir nicht mehr zu geben, Denn habe den Dienst schon
aufgesagt, und ich gehe
Mit den Gefährten, dem Schmied und dem
Tischler, die lange schon drängten, Wenn die Störche kommen, damit
wir endlich erfahren,
Welche Reise sie machen. Das wenige, was ich
ersparte,
Reicht schon aus für das Schiff, und warum gingen nur wir
nicht, Unser Glück zu versuchen! Zu Tausenden ziehn sie hinüber,

Um nach Gold zu graben im kalifornischen Boden!
Wäre der Himmel
geöffnet und würde am Tore geläutet,
Wie des Abends bei uns zur
Zeit der Sperre4), es gäbe
Schier kein größres Getümmel, kein
ärgeres Rennen und Laufen: Musikanten verkaufen die Fiedel, Gelehrte
die Bibel,
Schuster und Schneider den Pfriem und die Nadel und
eilen nach Bremen. Von dem Bette des Kranken entweicht der gierige
Doktor,
Und sein Koch ist voraus, es stoße im Mörser, wer Lust hat,
Advokaten und Schreiber verachten auf einmal die Zunge,
Die sie so
lange ernährte, und rechnen auf Arme und Beine,
Der Senator
bedenkt sich's, ob er denn wirklich zu dick ist, Und der Prediger kaum
hält's aus bei seiner Gemeinde.
Sollte der Ärmste da fehlen? Ich
dächte doch, diesem vor allen Wäre der Segen beschert, nur muß er
sich freilich auch rühren, Denn Sankt Nikolaus schenkt zwar die Kuh,
doch nicht auch den Halfter. Darum weine mir nicht! Ich bin ja nicht,

wie die andern,
Unersättlich, und werfe das Brot, das ich habe, zu
Boden,
Um nach dem Kuchen zu schnappen, ich will ja nicht mehr,
als ich brauche, Um dich mit gutem Gewissen zur Kirche führen zu
können,
Und du bist es wohl wert, daß mir dies wenige werde.
Hätt'
ich den Dampfer auch schon bestiegen, und würde ihn willig Wieder
verlassen, wenn hier noch ein mäßiges Glück sich mir zeigte, Aber
ebenso sicher vollbring' ich auch, was ich beschlossen, Wenn kein
Wunder geschieht und an die Heimat mich fesselt.
Knarrt nicht die
Treppe? Jawohl! Man kommt! So trockne die Augen, Daß sie nicht
glauben, wir zankten! Da rollt schon der Wagen des Nachbars! Nun,
ich hol' ihn noch ein, denn meine Pferde sind besser.
Lebe denn wohl!
Sie bringen in Holstein den Pudding nicht fertig, Wenn ich nicht mache,
es fehlt an frischen Rosinen und Mandeln, Und hier brauchen wir
Schinken und wohlgeräucherte Zungen!
Heller Tag! Wie die Zeit
verstrichen ist! Glücklicherweise Hat mein Alter die Gicht! Da schläft
er hinein in den Morgen, Weil sie ihn zwickt bei der Nacht fürs fleißige
Schnapsen von früher, Sonst erging' es mir übel! Es hat ihn nicht wenig
verdrossen, Daß ich nicht bleiben will und, selbst nicht offen und
ehrlich, Glaubt er, ich will den Dienst nur wechseln und nicht mit dem
Spaten Wirklich die Zügel vertauschen! Ei nun, er wird es erfahren!
Keinen Kuß? Doch die Hand! Auch die nicht? Du sollst mich noch
loben!-- Damit eilt er hinweg. Sie setzt sich, um Kaffee zu mahlen,

Doch ihr rinnen die Tränen von neuem, es kann sie nicht trösten, Daß
die Raben noch krächzen und nicht die Störche schon klappern, Denn
sie weiß: Was er sagt, das tut er! Sie kennt ihn zu lange.
Zweiter Gesang.
Während dies in der Küche geschah, ist alles im Hause
Nacheinander
lebendig geworden, das fleißige Mädchen
Hatte zuerst sich erhoben,
in ihrer ländlichen Weise
Nach der Kälte nicht fragend, nur nach der
Stunde, verdrießlich Ist ihr nach langer Pause, mit offenen Ohren
verdämmert,
Dann die zweite gefolgt und hat Kamine und Öfen
Bis
zum Zerspringen geheizt, vom Schlaf erst völlig ermuntert, Als ihr auf
einmal die Haube zu glimmen begann und ein Löckchen Sich
entzündete, rasch, wie Hanf, am Feuer verflackernd,
Und die

Augenbraunen, ja selbst die Wimpern ihr sengend.
Noch viel später
schlüpfte der Kutscher in seine Pantoffeln: Diesen weckt zwar
gewöhnlich die Kaffeemühle, doch hütet
Er sich, aufzustehn, bevor
sie wieder verstummt ist,
Denn er käme zu früh, noch wäre das Brot
nicht geröstet
Oder die
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