Mutter und Kind | Page 5

Friedrich Hebbel
Nacht bin ich ihm wieder begegnet,

Aber in welcher Gestalt! Wie gänzlich verändert! Du kannst es Dir
nicht denken! Ich glaubte zuerst, es wäre sein Vater,
Der noch lebt
auf dem Dorf, um seinen Jammer zu mehren,
Weil er den Greis nicht
fürder ernähren kann, wie so lange! Als ich ihn dann erkannte in
seinem gebrochenen Wesen,
Wollte er mir nicht stehn, wie einer, der
giftige Blattern
Zu verbreiten fürchtet, ich aber blieb ihm zur Seite


Und so nahm er mich mit zum kranken Weib und den Kindern.
Nun,
die dienten zusammen!--Das Mädchen erhebt sich und schließt ihn
Innig und fest an die Brust.--Sie wohnen im feuchtesten Keller
Welchen ich jemals sah. Dem Totengräber gehörig,
Hat er die nassen
Wände mit Brettern von Särgen beschlagen, Wie sie der Kirchhof ihm
aus wieder eröffneten Gräbern
Fett und modrig liefert. Die dunsten,
daß, wer hereintritt, Fast erstickt, doch die Miete ist billig, auch jagt sie
der Hausherr Nicht so leicht heraus, es fehlt am zweiten Bewerber,

Darum bleiben sie sitzen. Sie sollen vom Fieber genesen,
Wo's ein
Gesunder bekommt. Da macht's natürlich die Runde, Springt von ihm
zu ihr, von einem Kinde zum andern
Und verläßt sie nicht mehr! Du
weinst schon bittere Tränen, Nun, ich rede nicht weiter!--Sie trocknet
sich plötzlich die Augen, Welche ihr längst schon strömten, und spricht
mit krampfhaftem Lachen, Ihn bei der Hand ergreifend und über und
über erglühend:
Christian, weißt du was? Es ist der heilige Abend,

Und es wird uns beschert: da wollen wir wieder bescheren!
Meinen
ganzen Weihnacht, und reichlich gibt ihn die Herrschaft, Kleider und
Tücher und Geld, und was noch etwa hinzukommt,
Alles trag' ich zu
Anna, du machst es auch so mit Wilhelm,
Und sie können den Keller
verlassen und wieder gesunden!
Kind--versetzt er darauf--ich tat zwar
gleich, was ich konnte, Und der Weihnacht1) ist die Hälfte des Lohnes
in Hamburg,
Aber es sei darum! Denn, wie kein Engel im Himmel,

Hat mich Wilhelm gestern für ewige Zeiten gesegnet,
Und ich dank'
es ihm gern! Zwar war sie bitter, die Lehre, Die ich empfing, als ich sah,
daß trockenes Brot ihm, wie Kuchen, Schmeckte, Käse wie Fleisch,
doch werd' ich sie nimmer vergessen. Ja, ich hab' es erkannt, und werd'
es im Herzen bewahren:
Wenn der Arme es wagt, nur Gatte und
Vater zu werden,
Ist es sündlich, als dächte der Reiche auf Kaiser und
König, Und es straft sich noch härter. So bin ich denn fest auch
entschlossen, Endlich den Schritt zu tun, auf den ich schon lange
gesonnen, Denn das Leben ist kurz, und einmal will ich doch würfeln!--
Sie erschrickt, doch bald zerschmilzt in freudigem Lächeln
Ihre
Angst, denn er zieht zu ihrem höchsten Erstaunen
Einen goldenen
Ring hervor--er ist in den Handschuh
Eingewickelt, den sie vermißt
und den er entwandte,
Um ihr Maß zu haben--und reicht ihr das

funkelnde Kleinod.
Nimm ihn an von mir--so spricht er--und trag' ihn
zu Ehren, Gottes, des Vaters, des Sohnes, sowie des Heiligen Geistes

In Geduld drei Jahre, du wirst nicht darüber ergrauen,
Und das Glück
hat Zeit, mir einen Finger zu reichen!
In Geduld drei Jahre!--versetzt
sie--und das noch zu Ehren
Gottes, des Vaters, des Sohnes, sowie des
Heiligen Geistes? Nein, in Liebe und Treue das ganze Leben und
keinem
Mehr zurück Ehren, als dir, du Bravster unter den Braven!

Kind, ich nehm' es nicht an--entgegnet er ernst--denn es würde Mir das
Gewissen belasten, du bist nicht länger gebunden,
Wenn die Frist
verlief, auch ist sie völlig genügend,
Und wenn ich dich nicht löse, so
magst du selber dich lösen! Aber--ruft sie--was können so wenige Jahre
dir bringen,
Wenn du das Heil nicht von Alt'na erwartest oder von
Wandsbeck2), Und du bist wohl der letzte, dein Haus aufs Lotto zu
bauen! Darauf schwöre nur nicht--versetzt er--du würdest dich täuschen,
Denn ich rechne aufs Lotto, doch setz' ich nicht Heller und Groschen,
Nein, ich setze mich selbst. Ich geh' im Frühling zu Schiffe. Schlage
nicht gleich die Hände zusammen und halte die Schürze Vor die Augen!
Ich hab' es lange bedacht und erwogen,
Gestern kam's zum Entschluß!
Die Welt ist anders geworden, Als mein Vater sie kannte, und seine
goldenen Regeln
Passen nicht mehr hinein! Wer bliebe nicht gerne
im Lande
Und ernährte sich redlich! Ich sehne mich nicht nach dem
Weltteil, Wo man Löwen und Affen und Papageien umsonst sieht,

Nein, ich will das Pläsier mit Freuden noch länger bezahlen, Wenn wir
über den Berg3) nach Altona gehn zur Erholung!
Aber, wer kann,
was er möchte! Wofür mein Vater das Häuschen Kaufte, miet' ich mir
kaum, die Stube, und was für den Ochsen Einst der Schlachter gab, das
gibt für die Haut jetzt der Gerber! Sprich, wo wäre da Hoffnung! Es
sind der Menschen zu viele Über die Erde versät, und statt, wie einst,
sich zu helfen, Drängen sie sich und stoßen und suchen sich neidisch
die Bissen Aus den Händen zu reißen. Drum sind auch die
schrecklichen Tiere Losgelassen, von denen die Offenbarung Johannis

Prophezeite, sie sollen den Haufen lichten und sichten.
Bonaparte
voran als Tod mit der blinkenden Sense,
Jetzt die neue Pest, die
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 28
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.