Mozart auf der Reise nach Prag | Page 7

Eduard Morike
dem Gast so
wenig wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit

wäre, noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der
Zutritt, hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die
Familie überdies heut ausgefahren.
Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor
zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang
durchmessen, an dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung
das Schloß von seiner Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von
italienischer Bauart, hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe;
das Schieferdach verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter
und Göttinnen, samt einer Balustrade.
Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre
ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte
ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf
vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren
Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens
nach, den er sofort erreichte.
Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig
gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und
Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine
schmale Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das
angenehmste Ruheplätzchen dar; ein kleiner Tisch stand vor der Bank,
und Mozart ließ sich vorn am Eingang nieder.
Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug
auf einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb
der Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und
voll der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese
Anschauung des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus
seiner Knabenzeit geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber
nach der nächsten Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige
Kühle in hohler Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener
Jugendszene aber, die wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst
vermischte musikalische Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er
sich ein Weilchen träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie
irren da und dort umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er
sogleich eifrig verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Mal die
Pomeranze angefaßt, sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der
Hand. Er sieht und sieht es nicht; ja so weit geht die künstlerische

Geistesabwesenheit, daß er, die duftige Frucht beständig unter der Nase
hin und her wirbelnd und bald den Anfang, bald die Mitte einer Weise
unhörbar zwischen den Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig ein
emalliertes Etui aus der Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein
kleines Messer mit silbernem Heft daraus nimmt und die gelbe
kugelige Masse von oben nach unten langsam durchschneidet. Es
mochte ihn dabei entfernt ein dunkles Durstgefühl geleitet haben,
jedoch begnügten sich die angeregten Sinne mit Einatmung des
köstlichen Geruchs. Er starrt minutenlang die beiden innern Flächen an,
fügt sie sachte wieder zusammen, ganz sachte, trennt und vereinigt sie
wieder.
Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein, wo er
ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon im Begriff,
die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit inne, sei es aus
Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer, breitschulteriger
Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor ihm. Derselbe hatte
wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen und schwieg
betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos, auf seinem
Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter sichtbarem
Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen Augen
ins Gesicht; dann setzte - er für einen Dritten wäre es höchst komisch
anzusehn gewesen - die scheinbar unverletzte Pomeranze mit einer Art
von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.
»Um Vergebung«, fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig
versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem
Unwillen an: »ich weiß nicht, wen ich hier...«
»Kapellmeister Mozart aus Wien.«
»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«
»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf
anwesend?«
»Nein.«
»Seine Gemahlin?«
»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«
Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.
»Mit Erlaubnis, mein Herr - wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf
solche Weise zuzugreifen?«
»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel, glaubt Er denn, ich

wollte stehlen und das Ding da fressen?«
»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich
bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem
Fest bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht
fort, ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie
das da zugegangen ist.«
»Sei's drum. Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«
Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei
vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehn, griff in die Tasche, allein er
hatte das geringste nicht bei sich.
Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf
eine Bahre
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