Mozart auf der Reise nach Prag | Page 4

Eduard Morike
und andere Berufsarbeiten, Akademien, Proben und
dergleichen abgemüdet, nach frischem Atem schmachtete, war den
erschlafften Nerven häufig nur in neuer Aufregung eine scheinbare
Stärkung vergönnt. Seine Gesundheit wurde heimlich angegriffen, ein
je und je wiederkehrender Zustand von Schwermut wurde, wo nicht
erzeugt, doch sicherlich genährt an eben diesem Punkt und so die
Ahnung eines frühzeitigen Todes, die ihn zuletzt auf Schritt und Tritt
begleitete, unvermeidlich erfüllt. Gram aller Art und Farbe, das Gefühl
der Reue nicht ausgenommen, war er als eine herbe Würze jeder Lust
auf seinen Teil gewöhnt. Doch wissen wir, auch diese Schmerzen
rannen abgeklärt und rein in jenem tiefen Quell zusammen, der, aus
hundert goldenen Röhren springend, im Wechsel seiner Melodien
unerschöpflich, alle Qual und alle Seligkeit der Menschenbrust
ausströmte.
Am offenbarsten zeigten sich die bösen Wirkungen der Lebensweise
Mozarts in seiner häuslichen Verfassung. Der Vorwurf törichter,
leichtsinniger Verschwendung lag sehr nahe; er mußte sich sogar an
einen seiner schönsten Herzenszüge hängen. Kam einer, in dringender
Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine Bürgschaft zu erbitten, so
war meist schon darauf gerechnet, daß er sich nicht erst lang nach
Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte ihm auch in der Tat
so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich
hin, und immer mit lachender Großmut, besonders wenn er meinte,
gerade Überfluß zu haben.
Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen
Hausbedarf erheischte, standen allerdings in keinem Verhältnis mit den
Einkünften. Was von Theatern und Konzerten, von Verlegern und

Schülern einging, zusamt der kaiserlichen Pension, genügte um so
weniger, da der Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt
war, sich entschieden für Mozarts Musik zu erklären. Diese lauterste
Schönheit, Fülle und Tiefe befremdete gemeinhin gegenüber der bisher
beliebten, leicht faßlichen Kost. Zwar hatten sich die Wiener an
>Belmonte und Konstanze< - dank den populären Elementen dieses
Stücks - seinerzeit kaum ersättigen können, hingegen tat, einige Jahre
später, >Figaro<, und sicher nicht allein durch die Intrigen des
Direktors, im Wettstreit mit der lieblichen, doch weit geringeren >Cosa
rara< einen unerwarteten, kläglichen Fall; derselbe >Figaro<, den
gleich darauf die gebildeten oder unbefangenern Prager mit solchem
Enthusiasmus aufnahmen, daß der Meister in dankbarer Rührung
darüber seine nächste große Oper eigens für sie zu schreiben beschloß.
- Trotz der Ungunst der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart
mit etwas mehr Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr
ansehnlichen Gewinn von seiner Kunst gezogen: so aber kam er selbst
bei jenen Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen ihm
Beifall zujauchzen mußte. Genug, es wirkte eben alles, Schicksal und
Naturell und eigene Schuld, zusammen, den einzigen Mann nicht
gedeihen zu lassen.
Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau, sofern sie ihre
Aufgabe kannte, unter solchen Umständen gehabt haben müsse,
begreifen wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter
eines Musikers ein ganzes Künstlerblut, von Hause aus übrigens schon
an Entbehrungen gewöhnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem
Unheil an der Quelle zu steuern, manches Verkehrte abzuschneiden
und den Verlust im Großen durch Sparsamkeit im Kleinen zu ersetzen.
Nur eben in letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte sie des rechten
Geschicks und der frühern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und führte
das Hausbuch; jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es
Verdrießliches gab, ging ausschließlich an sie. Da stieg ihr wohl
mitunter das Wasser an die Kehle, zumal wenn oft zu dieser
Bedrängnis, zu Mangel, peinlicher Verlegenheit und Furcht vor
offenbarer Unehre, noch gar der Trübsinn ihres Mannes kam, worin er
tagelang verharrte, untätig, keinem Trost zugänglich, indem er mit
Seufzen und Klagen neben der Frau oder stumm in einem Winkel vor
sich hin den einen traurigen Gedanken, zu sterben, wie eine endlose

Schraube verfolgte. Ihr guter Mut verließ sie dennoch selten, ihr heller
Blick fand meist, wenn auch nur auf einige Zeit, Rat und Hülfe. Im
wesentlichen wurde wenig oder nichts gebessert. Gewann sie ihm mit
Ernst und Scherz, mit Bitten und Schmeicheln für heute soviel ab, daß
er den Tee an ihrer Seite trank, sich seinen Abendbraten daheim bei der
Familie schmecken ließ, um nachher nicht mehr auszugehen, was war
damit erreicht? Er konnte wohl einmal, durch ein verweintes Auge
seiner Frau plötzlich betroffen und bewegt, eine schlimme Gewohnheit
aufrichtig verwünschen, das Beste versprechen, mehr als sie verlangte,
- umsonst, er fand sich unversehens im alten Fahrgeleise wieder. Man
war versucht zu glauben, es habe anders nicht in seiner Macht
gestanden, und eine völlig veränderte Ordnung nach unsern Begriffen
von dem, was allen Menschen ziemt und frommt, ihm irgendwie
gewaltsam aufgedrungen, müßte das wunderbare Wesen geradezu
selbst aufgehoben haben.
Einen günstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets
insoweit, als derselbe von außen her möglich war: durch eine
gründliche Verbesserung ihrer ökonomischen Lage, wie solche bei dem
wachsenden Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben könne. Wenn erst, so
meinte sie, der stete Druck wegfiel, der sich auch ihm, bald
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