Mozart auf der Reise nach Prag | Page 3

Eduard Morike
hängen
läßt! - von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden - ich sage,
von purem Genuß, von den kleinen unschuldigen Freuden, die einem
jeden täglich vor den Füßen liegen.«
Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein
leichtbewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise
ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen recht
geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: »Ward ich denn je nur
meiner Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir und
immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt,
mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit basta,
wieder abgeschüttelt! Es denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande
zusammen einen schönen Tag gemacht hätten, an Ostern oder Pfingsten,
in einem Garten oder Wäldel, auf der Wiese, wir unter uns allein, bei
Kinderscherz und Blumenspiel, um selber einmal wieder Kind zu
werden. Allmittelst geht und rennt und saust das Leben hin - Herr Gott!
bedenkt mans recht, es möcht einem der Angstschweiß ausbrechen!«
Mit der soeben ausgesprochenen Selbstanklage war unerwartet ein sehr
ernsthaftes Gespräch in aller Traulichkeit und Güte zwischen beiden
eröffnet. Wir teilen dasselbe nicht ausführlich mit und werfen lieber
einen allgemeinen Blick auf die Verhältnisse, die teils ausdrücklich und
unmittelbar den Stoff, teils auch nur den bewußten Hintergrund der
Unterredung ausmachten.
Hier drängt sich uns voraus die schmerzliche Betrachtung auf, daß
dieser feurige, für jeden Reiz der Welt und für das Höchste, was dem
ahnenden Gemüt erreichbar ist, unglaublich empfängliche Mensch,
soviel er auch in seiner kurzen Spanne Zeit erlebt, genossen und aus
sich hervorgebracht, ein stetiges und rein befriedigtes Gefühl seiner
selbst doch lebenslang entbehrte.
Wer die Ursachen dieser Erscheinung nicht etwa tiefer suchen will, als
sie vermutlich liegen, wird sie zunächst einfach in jenen, wie es scheint,
unüberwindlich eingewohnten Schwächen finden, die wir so gern und
nicht ganz ohne Grund mit alle dem, was an Mozart der Gegenstand
unserer Bewunderung ist, in eine Art notwendiger Verbindung bringen.

Des Mannes Bedürfnisse waren sehr vielfach, seine Neigung zumal für
gesellige Freuden außerordentlich groß. Von den vornehmsten Häusern
der Stadt als unvergleichliches Talent gewürdigt und gesucht,
verschmähte er Einladungen zu Festen, Zirkeln und Partien selten oder
nie. Dabei tat er der eigenen Gastfreundschaft innerhalb seiner näheren
Kreise gleichfalls genug. Einen längst hergebrachten musikalischen
Abend am Sonntag bei ihm, ein ungezwungenes Mittagsmahl an
seinem wohlbestellten Tisch mit ein paar Freunden und Bekannten,
zwei-, dreimal in der Woche, das wollte er nicht missen. Bisweilen
brachte er die Gäste, zum Schrecken der Frau, unangekündigt von der
Straße weg ins Haus, Leute von sehr ungleichem Wert, Liebhaber,
Kunstgenossen, Sänger und Poeten. Der müßige Schmarotzer, dessen
ganzes Verdienst in einer immer aufgeweckten Laune, in Witz und
Spaß, und zwar vom gröberen Korn, bestand, kam so gut wie der
geistvolle Kenner und der treffliche Spieler erwünscht. Den größten
Teil seiner Erholung indes pflegte Mozart außer dem eigenen Hause zu
suchen. Man konnte ihn nach Tisch einen Tag wie den andern am
Billard im Kaffeehaus und so auch manchen Abend im Gasthof finden.
Er fuhr und ritt sehr gerne in Gesellschaft über Land, besuchte als ein
ausgemachter Tänzer Bälle und Redouten und machte sich des Jahrs
einige Male einen Hauptspaß an Volksfesten, vor allen am
Brigitten-Kirchtag im Freien, wo er als Pierrot maskiert erschien.
Diese Vergnügungen, bald bunt und ausgelassen, bald einer ruhigeren
Stimmung zusagend, waren bestimmt, dem lang gespannten Geist nach
ungeheurem Kraftaufwand die nötige Rast zu gewähren; auch
verfehlten sie nicht, demselben nebenher auf den geheimnisvollen
Wegen, auf welchen das Genie sein Spiel bewußtlos treibt, die feinen
flüchtigen Eindrücke mitzuteilen, wodurch es sich gelegentlich
befruchtet. Doch leider kam in solchen Stunden, weil es dann immer
galt, den glücklichen Moment bis auf die Neige auszuschöpfen, eine
andere Rücksicht, es sei nun der Klugheit oder der Pflicht, der
Selbsterhaltung wie der Häuslichkeit, nicht in Betracht. Genießend oder
schaffend kannte Mozart gleichwertig Maß und Ziel. Ein Teil der Nacht
war stets der Komposition gewidmet. Morgens früh, oft lange noch im
Bett, ward ausgearbeitet. Dann machte er von zehn Uhr an, zu Fuß oder
im Wagen abgeholt, die Runde seiner Lektionen, die in der Regel noch
einige Nachmittagsstunden wegnahmen. >Wir plagen uns wohl auch

rechtschaffen<, so schreibt er selber einmal einem Gönner, >und es hält
öfter schwer, nicht die Geduld zu verlieren. Da halst man sich als
wohlakkreditierter Cembalist und Musiklehrmeister ein Dutzend
Schüler auf, und immer wieder einen neuen, unangesehn, was weiter an
ihm ist, wenn er nur seinen Taler per marca bezahlt. Ein jeder
ungrische Schnurrbart vom Geniekorps ist willkommen, den der Satan
plagt, für nichts und wieder nichts Generalbaß und Kontrapunkt zu
studieren: das übermütigste Komteßchen, das mich wie Meister
Coquerel, den Haarkräusler, mit einem roten Kopf empfängt, wenn ich
einmal nicht auf den Glockenschlag bei ihr anklopfe usw.< Und wenn
er nun, durch diese
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