Mozart auf der Reise nach Prag | Page 2

Eduard Morike
ich mir auf den Jabot goß; wir
waren neu belebt, und das Gespräch floß munter fort, statt daß wir
sonst die Köpfe hätten hängen lassen wie die Hämmel auf des
Fleischers Karren, und diese Wohltat wird uns auf dem ganzen Weg
begleiten. Jetzt aber laß uns doch einmal zwei wienerische Nosn recht
expreß hier in die grüne Wildnis stecken!«
Sie stiegen Arm in Arm über den Graben an der Straße und sofort tiefer
in die Tannendunkelheit hinein, die, sehr bald bis zur Finsternis
verdichtet, nur hin und wieder von einem Streifen Sonne auf
sammetnem Moosboden grell durchbrochen ward. Die erquickliche
Frische, im plötzlichen Wechsel gegen die außerhalb herrschende Glut,
hätte dem sorglosen Mann ohne die Vorsicht der Begleiterin gefährlich
werden können. Mit Mühe drang sie ihm das in Bereitschaft gehaltene
Kleidungsstück auf. -
»Gott, welche Herrlichkeit!« rief er, an den hohen Stämmen
hinaufblickend, aus: »man ist als wie in einer Kirche! Mir deucht, ich
war niemals in einem Wald und besinne mich jetzt erst, was es doch
heißt, ein ganzes Volk von Bäumen beieinander! Keine Menschenhand
hat sie gepflanzt, sind alle selbst gekommen und stehen so, nur eben,
weil es lustig ist, beisammen, wohnen und wirtschaften. Siehst du, mit
jungen Jahren fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die Alpen
gesehn und das Meer, das Größeste und Schönste, was erschaffen ist:
jetzt steht von ungefähr der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an
der böhmischen Grenze, verwundert und verzückt, daß solches Wesen
irgend existiert, nicht etwa nur so una finzione di poeti ist, wie ihre
Nymphen, Faune und dergleichen mehr, auch kein Komödienwald,
nein aus dem Erdboden herausgewachsen, von Feuchtigkeit und
Wärmelicht der Sonne großgezogen Hier ist zu Haus der Hirsch mit
seinem wundersamen zackigen Gestäude auf der Stirn, das possierliche
Eichhorn, der Auerhahn, der Häher.« - Er bückte sich, brach einen Pilz
und pries die prächtige hochrote Farbe des Schirms, die zarten
weißlichen Lamellen an dessen unterer Seite, auch steckte er
verschiedene Tannenzapfen ein. »Man könnte denken,« sagte die Frau,
»du habest noch nicht zwanzig Schritte hinein in den Prater gesehen,
der solche Raritäten doch auch wohl aufzuweisen hat.«
»Was Prater! Sapperlot, wie du nur das Wort hier nennen magst! Vor

lauter Karossen, Staatsdegen, Roben und Fächern, Musik und allem
Spektakel der Welt, wer sieht denn da noch sonst etwas? Und selbst die
Bäume dort, so breit sie sich auch machen, ich weiß nicht - Bucheckern
und Eicheln, am Boden verstreut, sehn halter aus als wie
Geschwisterkind mit der Unzahl verbrauchter Korkstöpsel darunter.
Zwei Stunden weit riecht das Gehölz nach Kellnern und nach Saucen.«
»O unerhört!« rief sie, »so redet nun der Mann, dem gar nichts über das
Vergnügen geht, Backhähnl im Prater zu speisen!«
Als beide wieder in dem Wagen saßen und sich die Straße jetzt nach
einer kurzen Strecke ebenen Wegs allmählich abwärts senkte, wo eine
lachende Gegend sich bis an die entfernteren Berge verlor, fing unser
Meister, nachdem er eine Zeit lang still gewesen, wieder an: »Die Erde
ist wahrhaftig schön und keinem zu verdenken, wenn er so lang wie
möglich darauf bleiben will. Gott sei's gedankt, ich fühle mich so frisch
und wohl wie je und wäre bald zu tausend Dingen aufgelegt, die denn
auch alle nacheinander an die Reihe kommen sollen, wie nur mein
neues Werk vollendet und aufgeführt sein wird. Wieviel ist draußen in
der Welt und wieviel daheim, Merkwürdiges und Schönes, das ich noch
gar nicht kenne, an Wunderwerken der Natur, an Wissenschaften,
Künsten und nützlichen Gewerben! Der schwarze Köhlerbube dort bei
seinem Meiler weiß dir von manchen Sachen auf ein Haar so viel
Bescheid wie ich, da doch ein Sinn und ein Verlangen in mir wäre,
auch einen Blick in dies und jens zu tun, das eben nicht zu meinem
nächsten Kram gehört.«
»Mir kam«, versetzte sie, »in diesen Tagen dein alter Sackkalender in
die Hände von Anno fünfundachzig; da hast du hinten angemerkt drei
bis vier Notabene. Zum ersten steht: >Mitte Oktober gießet man die
großen Löwen in kaiserlicher Erzgießerei<; fürs zweite, doppelt
angestrichen: >Professor Gattner zu besuchen!< Wer ist der?«
»O recht, ich weiß - auf dem Observatorio der gute alte Herr, der mich
von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und
's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes
Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuern Scheibe, hell und
deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Täler, Klüfte sehen und von der
Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen.
Schon seit zwei Jahren schlag ichs an, den Gang zu tun, und komme
nicht dazu, elender und schändlicher Weise!«

»Nun,« sagte sie, »der Mond entläuft uns nicht. Wir holen manches
nach.«
Nach einer Pause fuhr er fort: »Und geht es nicht mit allem so? O pfui,
ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und
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