Felsen herauskam, und winselte zum Erbarmen. Es mußte
hinuntergefallen sein.
Glücklicherweise hatte der Ast es aufgehalten, sonst hätte es in den
Abgrund stürzen müssen. Aber auch noch jetzt, wenn es sich nicht
mehr an dem Ast festhalten konnte, mußte es auf der Stelle in die Tiefe
stürzen und sich das Genick brechen. In höchster Angst rief er hinunter:
"Halt fest, Mäggerli, halt fest am Ast! Sieh, ich komme schon und hole
dich!" Aber wie sollte er dahin gelangen? Die Felswand war so steil
hier, unmöglich konnte er da hinunterkommen, das sah Moni wohl ein.
Aber das Geißlein mußte da unten etwa in der Höhe vom Regenfelsen
sein, dem überhängenden Gestein, unter das man sich beim Regen so
gut flüchten konnte. Dort brachten die Geißbuben schon immer ihre
Tage bei schlechtem Wetter zu, darum hieß das Gestein schon von alter
Zeit her der Regenfelsen. Von da aus, dachte Moni, konnte er quer über
den Felsen klettern und so mit dem Zicklein zurückkommen.
Schnell pfiff er die Herde zusammen und stieg mit ihr hinunter, bis zu
der Stelle, wo es zum Regenfelsen hineinging. Da ließ er sie weiden
und ging dem Felsen zu. Hier sah er auch gleich, noch ein gutes Stück
über sich, den Ast, an den sich das Geißlein klammerte. Er sah, daß es
nicht leicht sei, da hinaufzuklettern und mit dem Mäggerli auf dem
Rücken wieder hinunter. Aber anders war das Tierlein nicht zu retten.
Er dachte auch, der liebe Gott würde ihm gewiß beistehen, dann könnte
es ihm gelingen. Er faltete seine Hände, schaute zum Himmel auf und
betete: "Ach lieber Gott, hilf mir doch, daß ich das Mäggerli erretten
kann!" Jetzt war er voller Vertrauen, daß alles gutgehen werde, und
eilig kletterte er den Felsen hinauf, bis er bei dem Ast oben angelangt
war. Hier klammerte er sich fest an mit beiden Füßen, hob dann das
zitternde, wimmernde Tierlein auf seine Schultern und kletterte nun mit
großer Sorgfalt hinunter. Als er aber nun wieder den sicheren
Grasboden unter den Füßen hatte und das erschrockene Geißlein
gerettet sah, da war er so froh, daß er laut danken mußte und in den
Himmel hinaufrief: "O lieber Gott, ich danke dir tausendmal, daß du
uns so geholfen hast! O wie sind wir beide so froh darüber!" Dann
setzte er sich noch ein wenig auf den Boden und streichelte das
Zicklein, das immer noch an allen seinen zarten Gliedern zitterte, und
tröstete es über die ausgestandene Angst.
Als wenig später Zeit zum Aufbruch war, setzte Moni das Zicklein
noch einmal auf seine Schultern und sagte fürsorglich: "Komm, du
armes Mäggerli, du zitterst ja immer noch. Heute kannst du nicht
heimgehen, ich muß dich tragen." Und so trug er das Tierlein, das sich
fest an ihn schmiegte, den ganzen Weg hinunter.
Paula stand jetzt auf der letzten Anhöhe vor dem Badehaus und
erwartete den Geißbuben. Auch ihre Tante hatte sie begleitet. Als nun
Moni mit seiner Last auf dem Rücken herankam, wollte Paula wissen,
ob das Zicklein krank sei, und zeigte große Teilnahme. Als Moni das
sah, setzte er sich gleich auf den Boden vor Paula hin und erzählte ihr
sein heutiges Erlebnis mit dem Mäggerli.
Das Fräulein nahm sehr lebhaften Anteil an der Sache und streichelte
das gerettete Tierlein. Jetzt lag es ruhig auf Monis Knien und sah sehr
zierlich aus mit seinen weißen Füßen und dem schönen schwarzen
Pelzchen über dem Rücken. Es ließ sich ganz gern ein wenig streicheln.
"Jetzt singst du mir auch noch dein Lied, wenn du schon einmal hier
bist", sagte Paula. Moni war so fröhlich gestimmt, daß er gern aus
voller Brust anstimmte und sein ganzes Lied bis zu Ende sang.
Das gefiel der Paula ausnehmend gut, und sie sagte, er müsse es ihr
noch öfter singen. Dann zog die ganze Gesellschaft zusammen zum
Badehaus hinunter. Hier wurde das Zicklein auf sein Lager gelegt, und
Moni nahm Abschied. Paula ging in ihr Zimmer zurück, um hier der
Tante noch lange von dem Geißbuben zu erzählen, auf dessen
fröhlichen Morgengesang sie sich schon jetzt wieder freute.
3. Kapitel
Ein Besuch
So waren mehrere Tage vergangen, einer so sonnig und klar wie der
andere, denn es war ein besonders schöner Sommer. Und der Himmel
blieb blau und wolkenlos vom Morgen bis zum Abend.
Jeden Morgen in der Frühe war der Geißbub mit hellem Gesang am
Badehaus vorbeigezogen, jeden Abend mit hellem Gesang wieder
zurückgekehrt. Und alle Badegäste waren so an das fröhliche Singen
gewöhnt, daß keiner es hätte missen mögen.
Vor allen aber freute sich Paula an Monis Fröhlichkeit und ging ihm
fast jeden Abend entgegen, um ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.
An einem sonnigen Morgen war Moni wieder oben bei der
Felsenkanzel angelangt und wollte sich eben auf den Boden setzen, als
er sich noch anders besann. "Nein, vorwärts! Ihr habt ja das letztemal
die guten Blättlein alle
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