Moni der Geißbub | Page 3

Johanna Spyri
der
arbeitsamen Elsbeth, daß nun Moni auch etwas verdienen konnte. Die
fromme Großmutter hatte den Moni keinen Morgen weggehen lassen,
ohne daß sie ihm sagte: "Moni, vergiß nicht, wie nah du dort oben dem
lieben Gott bist und daß er alles sieht und hört. Du kannst vor seinen
Augen nichts verbergen. Aber vergiß auch nicht, daß er in deiner Nähe
ist, um dir zu helfen. Daher mußt du dich nie fürchten, und wenn du
dort oben keine Menschen herbeirufen kannst, rufe du nur zum lieben
Gott in der Not, er hört dich gleich und kommt dir zur Hilfe."
So zog Moni von Anfang an voller Zuversicht auf die einsamen Höhen
und die höchsten Felsen und hatte nie die leiseste Furcht noch
Schrecken, denn er dachte immer: Je höher hinauf, desto näher bin ich
beim lieben Gott und desto sicherer in allem, was mir begegnen kann.
So hatte Moni weder Sorge noch Kummer und konnte sich freuen an
allem, was er erlebte vom Morgen bis zum Abend. Und es war kein
Wunder, daß er immer pfiff und sang und jodelte, denn er mußte seiner
großen Fröhlichkeit Luft machen.

2. Kapitel
Monis Leben auf dem Berg
Am folgenden Morgen erwachte Paula so früh wie sonst nie, ein lauter
Gesang hatte sie aus dem Schlaf geweckt. "Da ist gewiß schon der
Geißbub", sagte sie, sprang aus dem Bett und lief ans Fenster.
Richtig, mit frischen, roten Backen stand der Moni im Hof und hatte
eben die alte Geiß und das Zicklein aus dem Stall geholt. Jetzt schwang
er seine Rute in der Luft, die Geißen hüpften und sprangen um ihn
herum, und nun ging's vorwärts mit der ganzen Schar. Und plötzlich
erhob Moni seine Stimme wieder und sang, daß es von den Bergen
widerhallte:

"Dort droben in den Tannen Singen die Vögel im Chor, Und hat's eine
Weile geregnet, Kommt die Sonne wieder vor."
"Heute muß er mir einmal sein ganzes Lied singen", sagte Paula, denn
jetzt war Moni verschwunden, und sie konnte seinen fernen Gesang
nicht mehr verstehen.
Am Himmel zogen noch die roten Morgenwolken dahin, und ein
frischer Bergwind rauschte dem Moni um die Ohren, als er berganstieg.
Das war ihm gerade recht. Vor Wohlbehagen jodelte er vom ersten
Bergvorsprung so gewaltig ins Tal hinab, daß mancher Schläfer unten
im Badehaus erstaunt die Augen aufschlug. Er machte sie aber gleich
wieder zu, denn er kannte den Ton und wußte, daß er nun noch ein
Stündchen Schlaf zugeben konnte, denn der Geißbub kam immer so
früh. Inzwischen kletterte Moni mit seinen Geißen eine Stunde lang
weiter und weiter hinauf, bis hoch zu den Felsen.
Immer weiter und immer schöner war es um den Moni geworden, je
höher er hinaufkam. Von Zeit zu Zeit guckte er um sich, dann schaute
er zu dem hellen Himmel auf, der nun immer blauer wurde. Dann fing
er aus vollem Hals zu singen an, immer lauter und immer fröhlicher, je
höher er kam:
Dort droben in den Tannen Singen die Vögel im Chor, Und hat's eine
Weile geregnet, Kommt die Sonne wieder vor.
Und die Sonne und die Sterne Und den Mond bei der Nacht, Die hat
der liebe Gott uns Zur Freude gemacht.
Im Frühling gibt's Blumen, Die sind gelb und sind rot, Und so blau ist
der Himmel, Und ich freu mich fast zu Tod.
Und im Sommer gibt's Beeren, Und geht's gut, so gibt's viel, Und die
roten und die schwarzen, Eß ich alle vom Stiel.
Hat's im Hag wieder Nüsse, So weiß ich wie's tut, Wo die Geißen gern
nagen, Sind die Kräutlein auch gut.

Und im Winter bin ich fröhlich, Weil's Weinen nichts nützt, Und weil
ihm sowieso der Frühling, Auf den Fersen schon sitzt.
Jetzt war die Anhöhe erreicht, wo er gewöhnlich blieb und sich auch
heute ausruhen wollte. Das war eine kleine, grüne Hochebene mit
einem so weiten Vorsprung, daß man von dem freien Punkt ringsumher
und weiter, weit ins Tal hinabsehen konnte. Dieser Vorsprung hieß die
Felsenkanzel, und hier konnte Moni oft stundenlang verweilen und um
sich schauen und vor sich hin pfeifen, während seine Tierlein ganz
gemütlich ihre Kräuter suchten.
Sobald Moni angekommen war, nahm er seinen kleinen Proviantsack
vom Rücken und legte ihn in eine kleine Höhle des Bodens, die er
selbst dafür gegraben hatte. Dann trat er auf die Felsenkanzel hinaus
und warf sich auf den Boden, um sich einmal so recht wohl sein zu
lassen.
Der Himmel war jetzt dunkelblau geworden. Drüben waren die hohen
Berge mit den in den Himmel ragenden Zacken und großen Eisfeldern
zum Vorschein gekommen, und unten leuchtete weithin das grüne Tal
im Morgenglanz. Moni lag da, schaute umher, sang und pfiff. Der
Bergwind kühlte ihm das warme Gesicht, und hörte er einmal zu
pfeifen auf, so pfiffen die Vögel über ihm noch viel lustiger und flogen
in den blauen Himmel hinauf.
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