sich und sangen »God save the King!«.
Ich wußte nicht, wer die Russen und Franzosen sind, ich weiß auch
nicht, was sie in Berlin und Koblenz zu suchen haben, und ob dies
fremde Inseln oder Schiffe sind, jedenfalls aber schloß ich aus der
allgemeinen Freude, daß das, was der Mann am Fenster vorgelesen
hatte, ein sehr guter Witz gewesen sein muß.
Sogar ein paar junge Deutsche, die man gerade von frisch
angekommenen Schiffen über den Platz ins Gefängnis führte, lachten
hell auf und riefen: »Reuter-Meldung!«
Ich überließ die Europäer ihrer Heiterkeit und beeilte mich, an den
heiligen Teich zu kommen.
Jim Boughsleigh wartete schon auf mich. Er saß am Rande des Teiches,
und ich bemerkte mit Mißfallen, daß sich sein Bild in dem heiligen
Wasser spiegelte.
Bei den Begrüßungsworten traf mich sein Atem, und ich fühlte
sogleich, daß er schon mehrfach aus seiner Flasche genippt hatte und
daß er auf dem besten Wege war, wieder seine heiligen Zustände zu
bekommen.
Es war ein prächtiger Abend, der Himmel ein einziges blaues
faltenloses Tuch, die Palmen tauschten heimliche Zärtlichkeiten mit
dem milden Wind, Vögel lockten sich und sangen sich in ihrer
zwitschernden Sprache Liebesgedichte, Ratten huschten und spielten.
Es war einer der Abende, an denen man fühlt, daß die guten Götter
doch mächtiger sind als die bösen Dämonen.
Ich legte den Sack mit Malatri, der Brillenschlange, neben mich, beugte
mich zu dem heiligen Teich nieder, grüßte mit den Blicken die
Frommen, die darin die vorgeschriebenen Waschungen vornahmen,
und schöpfte eine Handvoll Wassers. Als ich sie zum Munde führte,
entdeckte ich darin -- o günstiges Zeichen! -- eine Wasserspinne. Ich
setzte sie sorgsam in das Naß zurück und trank meine Hand leer.
Jim Boughsleigh grinste, und ich konnte mir wohl denken, warum. Er
verstand es nicht, daß man so viel Wesens mit einer Spinne machen
konnte. Die Weißen werden uns in dieser Beziehung nie verstehen, sie
begreifen nicht, daß in den Tieren menschliche Seelen wohnen, daß
alles, was lebt und webt, ihresgleichen ist, sie haben den
Zusammenhang mit der Natur verloren. Sie haben der Natur den Krieg
erklärt, ohne zu ahnen, daß sie damit sich selbst den Krieg erklärt
haben, da sie doch nur ein Teil der Natur sind. Sie gleichen einem
Schilfrohr, das stärker sein will als der Wind. Und weil sie sich selbst
taub gemacht haben gegen die Stimmen der Natur, hören sie nicht, wie
es rings um sie kichert und spöttelt. Manchmal aber schwillt das
Kichern der Natur zu einem gellenden Hohnlachen an, und dann sagen
die Weißen: »Es war ein Erdbeben!« oder: »Ein Vulkan hat Feuer
gespieen!«
Sie sind wirklich verächtliche Narren, diese Weißen!
Jim Boughsleigh tat einen tiefen Schluck aus seiner Flasche und reichte
sie mir dann, damit ich seinem Beispiel folge. Ich lehnte ab, aber da
hob er die Faust und schrie: »Sauf, Hindu!« Und weil er der Stärkere
war, wollte es das Schicksal, daß ich trank.
Jim steckte seine Pfeife in den Mund, zog die Streichhölzer hervor, und
weil seine Hand bereits etwas unsicher war, sah ich mit Freude, daß er
mit dem brennenden Streichholz unter seiner Nase herumfuchtelte, was
ihm einen Brüller des Schmerzes entlockte.
Endlich brannte seine Pfeife, und er hub an: »Hast du die Deutschen
gesehen, die ich ins Gefängnis brachte?«
»Ja, Herr! -- Was habt ihr Engländer mit ihnen vor? Laßt ihr sie
hungern?«
Jim grölte vergnügt. »Offiziell nicht!« versicherte er. »Nur inoffiziell!
Offiziell sind wir ein Kulturvolk! -- Wie hat dir der Anblick gefallen,
mein Lieber?«
Ich witterte eine Falle. Weshalb frug Jim nach meiner Ansicht? Haben
die Engländer uns etwa nach unserer Ansicht gefragt, als sie uns unser
Land wegnahmen und als sie unsere Brüder vor ihre Kanonen banden?
Ich beschloß also, vorsichtig zu sein, und erwiderte achselzuckend:
»Was gehen mich die Deutschen an?«
»Du bist ein Affe!« knurrte Jim und spuckte in den heiligen Teich.
Daß er mich mit einem Affen verglich, machte mich doppelt
mißtrauisch. Weshalb schmeichelte er, wenn er nicht die Absicht hatte,
mich zu betrügen?
»Du bist ein Affe!« wiederholte Jim Boughsleigh. »Was dich die
verdammten Deutschen angehen? Sehr viel gehen sie dich an! Weißt du
denn nicht, daß die Deutschen die verbissensten Feinde der Hindus
sind?«
Das war mir neu. Ich habe einmal als Boy bei einem deutschen
Reisenden gedient, er hat mir ein ausgezeichnetes Zeugnis gegeben und
ich habe für seine goldene Uhr fünf Rupien bekommen; auch hat er mir
im Laufe eines Monats nur siebzehn Fußtritte gegeben, während ich
durchschnittlich von den Engländern die doppelte Portion in einer
Woche erhalte, -- nein, ich hatte damals nichts gegen die Deutschen.
»Wieso sind die Deutschen die Todfeinde des Hindus?« frug ich nach
einigem Nachdenken.
»Trink noch einmal!« gab mir Jim Boughsleigh zur Antwort und zwang
mir die Flasche in die Hand, nachdem er selbst längere Zeit daran
gesogen hatte. »Trink, Junge, aber nicht solche Säuglingsschlucke,
sondern ordentlich! --
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