Mister Galgenstrick | Page 7

Karl Ettlinger
Berührung mit
einem Weißen peinlich war.
Mister Galgenstrick hob zum Abschiedsgruß seine linke Hand, um sie
über die Brust zu legen. Diese Bewegung aber löste bei ihm einen
heftigen Hustenanfall, begleitet von Blutspucken, aus, so daß die
Krankenschwester ihn stützen mußte. Sie reichte ihm Kochsalz zu
schlürfen, er lehnte es aber mit einer halb traurigen, halb trotzigen
Kopfbewegung ab.
Ich eilte nach Hause, um meine stenographischen Aufzeichnungen in
Reinschrift zu übertragen. Die ganze Nacht hindurch schrieb ich, und
wenn ich »Galgenstricks« Erzählungen vielleicht stellenweise nicht
ganz wortgetreu wiedergegeben habe, so liegt das in erster Linie an
dem närrischen englischen Kauderwelsch, das er sprach.
Als ich am nächsten Mittag das Lazarett wieder besuchte, mahnte mich
auf dem Korridor die Krankenschwester, unseren Patienten nicht zu
überanstrengen.

»Er darf nicht so viel reden. Es greift ihn zu sehr an!«
Ich versprach, nicht länger als eine Stunde zu bleiben.
Um dem Kranken eine Freude zu machen, hatte ich ihm einige
Photographien indischer Landschaften und Gebäude mitgebracht, die
ich aus Büchern meiner Bibliothek herausgerissen hatte. Er betrachtete
die Bilder lange schweigend, bat mich dann durch eine Geste, sie unter
sein Kopfkissen zu legen.
Ich glaube, ich bin durch dieses kleine Geschenk sehr in seiner
Achtung und Neigung gestiegen. Wenigstens ließ er sich diesmal nicht
lange bitten, mir zu erzählen, deutete vielmehr gleich auf meine weißen
Notizblätter und den wohlgespitzten Bleistift, gab der
Krankenschwester ein Zeichen, sich zu entfernen, und begann:
* * * * *
In den nächsten zwei Tagen nach dem Zusammentreffen mit Jim
Boughsleigh stellten sich einige Änderungen im gewöhnten Leben
Bombays ein. Man sah mehr Soldaten als sonst auf den Straßen,
besonders viel mohammedanische Truppen. Vor dem Klubgebäude der
Deutschen standen bei Tag und Nacht Wachen, und kein Deutscher
konnte dieses Haus verlassen, ohne daß ihm ein Wächter gefolgt wäre.
Es konnte sich dabei übrigens nur um ältere Männer und Frauen
handeln, denn die jungen Männer waren alle eingesperrt worden.
Besonders scharf waren die Wachen am Hafen. Niemand durfte herein
oder hinaus, ohne daß er kontrolliert worden wäre. Mein Freund
Lapalogi verdiente in jenen Tagen ein Vermögen mit dem Ausstellen
falscher Pässe.
Es bekam ihm leider schlecht, denn ein Konkurrent verriet ihn den
Engländern, und diese stellten ihn als Zielscheibe an die nächste Wand,
was er so schlecht vertragen konnte, daß er umfiel und tot war. Er war
ein sehr talentvoller Mensch.
Die Europäer nannten ihn zwar einen Schuft, aber das war sehr

ungerecht. Allerdings wurde er, kaum dreißigjährig, wegen seiner
Fälschungen erschossen, -- wäre er aber ehrlich gewesen, so wäre er
vermutlich schon zehn Jahre zuvor verhungert. Seine Werke werden
ihn lange überdauern, besonders das falsche Papiergeld, das er
meisterhaft herzustellen verstand.
Auch ich hatte in diesen Tagen einen bescheidenen Nebenverdienst.
Ein junger Deutscher ersuchte mich nämlich, ihm gegen eine
Belohnung von zwölf Rupien das Gewand eines Mohammedaners zu
verschaffen, in dem er sich nach seiner Heimat durchschmuggeln
wollte. Das Schicksal wollte es, daß ich noch am selben Tag das
gewünschte Kleid stehlen konnte. Ich ließ mir vierzehn Rupien dafür
bezahlen und schwor, daß ich nichts dabei verdiente.
Ich weiß, daß es bei euch Weißen als verboten gilt, seinem Nachbar die
Kleider zu stehlen. Bei euch darf man seinem Nächsten höchstens die
Arbeitskraft, die Gesundheit, die Lebensfreude stehlen. Ich habe viel
darüber nachgedacht, aber ich bin zu keinem Resultat gekommen, wo
der erlaubte Diebstahl aufhört und der verbotene Diebstahl anfängt. Die
Frage ist mir zu schwierig, und ich unterscheide deshalb lieber zwei
#andere# Arten Diebstähle, nämlich: Diebstahl von Sachen, die man
gebrauchen kann, und Diebstahl von Sachen, die man #nicht#
gebrauchen kann.
Wenn ich ein Gesetzgeber wäre, würde ich nur die letztere Art
bestrafen.
Noch eine andere Neuerung beobachtete ich in jenen Tagen in den
Straßen der Stadt. Es wurden in jedem Stadtteil einige Häuser mit
englischen Fahnen geschmückt und mit Bildern aus dem Soldatenleben
geziert, auf denen in großen Buchstaben stand: »Come in!«
Wir Eingeborenen lasen mit viel Interesse diese Aufforderung
hereinzukommen -- und blieben draußen.
Was ging uns dieser neue europäische Unsinn an?
Wenn die Weißen sich gegenseitig totschlagen wollen, so bin ich damit

vollkommen einverstanden, und ich will gerne dafür beten, daß jede
Partei unterliegt. Aber weiter will ich nichts damit zu tun haben. Habe
ich nicht recht?
Pünktlich zur vereinbarten Stunde machte ich mich auf den Weg, um
am heiligen Teich mit Jim Boughsleigh zusammenzutreffen. Malatri,
die Brillenschlange, nahm ich in einem Sacke mit, denn ich
beabsichtigte, in dieser Nacht wieder einmal meine Vermögenslage
gründlich zu verbessern.
Ich machte einen kleinen Umweg, der mich an dem Regierungspalast
vorbeiführte. Vor diesem Gebäude drängten sich viele, viele Weiße,
und am Fenster stand ein Mann und las von einem Blatt mit hoher
Fistelstimme eine Nachricht vor: »Die Russen sind gestern in Berlin
eingezogen, die Franzosen stehen in Koblenz.«
Als die Weißen diesen Satz hörten, brachen sie in tollen Jubel aus,
umarmten sich, küßten
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