auch nur ein Weißer ist. Dem Jim
Boughsleigh aber gefiel es gar nicht, er nahm sein Gewehr und stieß
dem Gefangenen den Kolben in den Rücken, daß sich vor Wut und
Schmerz sein Gesicht verzerrte.
Ich verstand die ganze Geschichte nicht und erkundigte mich deshalb:
»Edler Jim, seit wann sperrt man denn die Deutschen ein?«
»Seit der Krieg ausgebrochen ist! Weißt du, was das ist: "Krieg"?«
Innerlich mußte ich wieder furchtbar lächeln über diese eingebildete
Frage. Ist es nicht zum Kugeln: ein englischer Soldat fragt mich, einen
Hindu der Kriegerkaste, ob ich wüßte, was »Krieg« ist?
Aber weil mein Gesicht nicht dazu da ist, meine Gedanken
widerzuspiegeln, blieb ich äußerlich ernst und sprach: »Ein Krieg ist,
wenn zwei Männer sich in ehrlichem Kampfe gegenübertreten, um ihre
Kräfte zu messen, so daß man sehen kann, welcher von beiden der
Stärkere und Tapferere ist!«
Da wieherte Jim Boughsleigh wie eine Eselin, der etwas Spaßhaftes
eingefallen ist, und prustete: »Mensch, nein, bist du komisch! In einem
modernen Krieg sieht man den Gegner meist überhaupt nicht! Auf viele
tausend Meter schießt man auf ihn mit Kanonen, deren Geschosse den
Kuckuck danach fragen, ob du tapfer oder feig bist! Wenn dich ein
Granatsplitter auf den Kopf trifft, bist du einfach kaputt, ob du nun ein
Riese Goliath oder ein Schneidermeister Fips bist! Wen's trifft, das ist
Zufall!«
Mich ärgerte dieses dumme Gerede. Ich wußte zwar nicht, was ein
Kuckuck oder ein Granatsplitter ist, noch kenne ich den Riesen Goliath
oder den Schneidermeister Fips, aber ich weiß, daß nichts auf dieser
Welt #Zufall# ist, sondern alles vorausbestimmtes Schicksal. Wen ein
Granatsplitter (oder wie das Ding heißt) treffen soll, den kann es mitten
im Frieden treffen, wenn es das Schicksal so will.
Ich hätte das Jim Boughsleigh auseinandersetzen können, -- aber wozu
mit einem Weißen streiten? Wenn ein Weißer merkt, daß er unrecht hat,
fängt er an zu schreien, zu prügeln und irgendeine geheime Rache zu
brüten.
Während ich mich freue, wenn ich einen Klügeren antreffe, der mir von
seiner Weisheit mitteilt, ärgert den Weißen nichts ingrimmiger, als
wenn er einen Klügeren findet. Der Weiße ist so maßlos eitel, daß er
jede Überlegenheit seines Nächsten wie eine persönliche Kränkung
empfindet, daß er den faulen Durchschnitt liebt und jeden, der darüber
emporragt, mit seinem Haß zu verkleinern sucht. Und daher kommt es,
daß in Europa die Dummköpfe das große Wort führen.
Ich sparte mir also die Mühe, Jim Boughsleigh aufzuklären darüber,
daß es kein alberneres Wort gäbe als das inhaltlose Wort »Zufall«, ich
machte wieder eine Verbeugung, bei der ich mir allerhand dachte, und
wollte meines Weges gehen, als mich Jim zurückhielt.
»Hast du heute abend Zeit?« meinte er. »Ich habe mit dir Wichtiges zu
sprechen!«
»Heute ist ein Festtag,« gab ich zurück. Denn ich hatte in der Tat die
Absicht, mir mit Malatri, der Brillenschlange, einen Festtag zu machen.
»Und morgen?« forschte Jim Boughsleigh.
»Morgen wird mein ehrwürdiger Vater gehenkt! Aber übermorgen
stehe ich zu deinen Diensten, Herr!«
»Also übermorgen abend nach sechs Uhr am heiligen Teich! Sei
pünktlich: es handelt sich um etwas sehr Wichtiges für dich!«
»Ich werde zur Stelle sein, edler Jim!«
Ich warf noch einen Blick auf die deutschen Gefangenen, von denen
einer eine Bemerkung in einer mir unverständlichen Sprache machte,
über die sie alle herzlich lachten, und bog in eine Nebengasse ein.
Verwunderung hatte mich erfaßt, denn ich hatte es noch niemals erlebt,
daß Weiße, auch wenn sie im Unglück sind, heiteren Gemütes bleiben.
Noch mehr aber wunderte mich die Ankündigung Jims. Was mochte er
wohl so Wichtiges mit mir zu sprechen haben? Es war das erstemal,
daß er sich förmlich mit mir verabredete, und ich folgerte daraus, daß
er mich zu irgend etwas notwendig brauchte.
Was konnte es nur sein? Ich argwöhnte Böses, -- haben doch die
Engländer, so weit ich zurückdenken kann, uns Indern nur Böses
angetan.
Je länger ich in Zweifeln nachdachte, desto aufgeregter wurde ich, --
nicht vor Todesangst, denn die Todesangst ist ein Gefühl, das uns die
Engländer nicht beibringen werden, und wenn sie uns noch so lange
zivilisieren, sondern vor Betrübnis, man werde mich vielleicht zu
irgendeiner Schlechtigkeit zwingen wollen.
Als ich in meiner Lehmhütte anlangte, war ich vor Nachdenken ganz
erschöpft. Ich beschloß, meinen Beutezug mit Malatri, der
Brillenschlange, auf eine andere Nacht zu verschieben, wusch mich,
verrichtete meine Gebete und wickelte mich in eine Decke. Aber es
dauerte lange, bis mich weiche Hände in das Reich der Träume trugen,
denn mich marterte die Frage: »Was mag nur Jim Boughsleigh von dir
wollen?« ...
* * * * *
So weit war mein Freund, der Hindu, in seiner Erzählung gekommen,
als die Krankenschwester an das Bett trat und mich leise bat, meinen
heutigen Besuch zu beendigen: der Kranke müsse nun schlafen.
Ich verabschiedete mich von Mister Galgenstrick mit einem lächelnden
Kopfnicken, da ich wußte, daß ihm jede körperliche
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