Mister Galgenstrick | Page 5

Karl Ettlinger
einer Nase, die an Wochentagen
sanft rosa, Sonntags aber ins Bläuliche schillert. Wie er mir erzählte, ist
er in Southampton geboren worden, verlebte aber viele Jahre in einem
Städtchen namens Arbeitshaus und trat schließlich in die
Kolonialarmee ein, weil sich seine langen Beine so gut zum Laufen
eignen.
Als ich Jim Boughsleigh kennen lernte, befand er sich gerade in
heiligem Zustand. Er lag auf der Straße, streckte alle viere von sich und
gab auf keine Frage Antwort. Seine Seele weilte auf Urlaub im
Paradies.
Ich habe ihn später noch öfter in diesem heiligen Zustand angetroffen,
und ich habe beobachtet, daß er dabei stets eine leere Flasche bei sich
hatte, auf der »Whiskey« stand. Einmal war noch ein wenig heiliges
Wasser in dieser Flasche, ich zog sie ihm aus der Tasche, setzte sie an
den Mund, trank -- und warf die Flasche entsetzt fort, denn es saß ein

brennender Dämon darin.
Von dem Klirren der Flasche erwachte Jim Boughsleigh, ächzte und
sprach die heiligen Worte: »Mich is schlecht! Very hundsmiserabel is
mich!«
Späterhin, als wir uns etwas angefreundet hatten, wollte Jim
Boughsleigh auch #mir# von seinem heiligen Wasser zu trinken geben.
Aber ich lehnte ab, weil in den Vorschriften unserer Religion kein
Gebot enthalten ist, Dämone zu trinken. Und weil ich der Ansicht bin,
daß der Genuß des Wassers vom heiligen Strom in Benares, obwohl
Pestkranke darin baden und Tierleichen darin schwimmen, lange nicht
so viel Schaden auf der Welt anrichtet als der Genuß des heiligen
Whiskeywassers.
Jim Boughsleigh war ein Narr wie alle Europäer. Befand er sich in
unheiligem, nüchternem Zustand, so fand er nicht genug Worte des
Lobes für seinen Stand und seinen Herrscher. Er blähte sich auf wie ein
Kalkuttahahn und krähte:
»Ich bin ein Soldat Seiner Majestät des Königs von England, des
Kaisers von Indien! God save the King!«
»Ist dein König sehr mächtig?« frug ich ihn.
»Der mächtigste König der Welt! Von Rechts wegen sollte ihm die
ganze Erde gehören!«
»Wieviel Frauen hat er denn?« erkundigte ich mich weiter.
»Schafskopf! Eine einzige!«
Da dachte ich mir meinen Teil. -- Ein König, der sich nur eine einzige
Frau leisten kann, kann nicht gar so reich sein! Jeder indische Fürst hat
ein paar hundert.
Aber ich wollte nicht vorschnell urteilen, denn ich bin ein Hindu und
kein Europäer, und deshalb fuhr ich fort zu fragen:

»Wieviel Elefanten hat dein König in seinem Stall?«
»Gar keine! Esel!«
»Welcher Kaste gehört dein König an?«
»Bei uns gibt es nur eine Kaste, die der Gentlemen!«
Ich dachte mir: »O weh! Wer verbergen muß, welcher Kaste er
angehört, der kann nicht weit her sein! Am Ende gehört er zur Kaste
der Wasserträger?« Und ich rümpfte in Gedanken meine Nase.
Aber weil ich ein gründlicher Mensch bin, stellte ich eine letzte Frage:
»In welchem Tempel wird dein König verehrt?«
Da lachte Jim Boughsleigh herzlich und sagte:
»In einem großen Tempel, dem größten Heiligtum der Engländer: es
heißt #die Börse#!«
Das imponierte mir gewaltig, und ich habe seitdem tiefe Ehrfurcht vor
dem König von England. Und ich denke mir: wenn er auch keine
heiligen #Elefanten# besitzt, so wird er doch genug heilige #Affen# in
seiner Umgebung haben.
In solchen Tönen pflegte Jim Boughsleigh seinen Herrscher und seinen
Soldatenberuf zu lobpreisen, wenn er seine unheiligen Stunden hatte.
Befand er sich hingegen in heiligem Zustand, so schimpfte er auf
seinen King und auf seine sämtlichen Vorgesetzten mit einer
Überzeugungskraft, daß einem Angst und Bange werden konnte, und er
verglich sie mit Tieren, von denen ich noch nie etwas gehört hatte.
Dies also war Jim Boughsleigh, der an jenem Tage mit geladenem
Gewehr als Wächter der Weißen des Wegs daherkam.
Als er mich erblickte, grinste er über das ganze Gesicht, so daß ich
seine Zähne sehen konnte, soweit sie ihm seine Kameraden noch nicht
eingeschlagen hatten, und winkte mir mit den Blicken, näher zu treten.

Ich dachte mir: »Mögen sämtliche Dämonen in deine Eingeweide
fahren!«, machte eine tiefe Verbeugung und näherte mich in demütiger
Haltung, indem ich um Auskunft bat: »Wer sind diese weißen Sahibs?«
»Das sind Deutsche!« grinste Jim Boughsleigh und fügte einen
greulichen Fluch hinzu, den ich aber nicht wiederholen mag, denn ich
bin ein Hindu und kein kultivierter Europäer.
»Bringst du sie an den Dampfer?« frug ich.
»Nein, ins Gefängnis!«
»Was haben sie denn verbrochen?«
»Sie sind Deutsche!«
Da machte ich ein sehr beileidsvolles Gesicht, innerlich aber lachte ich
mir einen Ast: Haha, fangen die Weißen an, sich gegenseitig
einzusperren? Das ist recht! Schade, daß sie nicht früher damit
angefangen haben!
»Ist es denn ein Verbrechen, ein Deutscher zu sein?« frug ich weiter.
Da hob einer der Gefangenen, der unser englisch geführtes Gespräch
verstanden hatte, den Kopf, betrachtete Jim unsäglich verachtungsvoll
und sagte: »Es ist ein #Glück#, ein Deutscher zu sein!«
Das gefiel mir von ihm, denn jeder Mensch soll stolz auf seine
Abstammung sein, wenn er
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