meinen Vater
zu entehren, -- als ob ein Nichthindu überhaupt einen Hindu entehren
könnte. Es ist dies ein Pröbchen des Größenwahnes der Weißen, dieser
unreinen Menschenrasse, die glaubt, weil sie uns Steuern abnimmt, sei
sie uns ebenbürtig. Sie wissen nicht, daß ein Hindu lieber Hungers
stürbe als mit einem Weißen an einem Tisch äße, und daß uns eine
Speise schon als unrein und ungenießbar gilt, wenn nur der Schatten
eines Weißen auf sie fiel.
Wollte ich alle die Kriegstaten meines Vaters aufzählen, so würde es
ein Buch werden, länger als meines Vaters Strafliste.
So will ich nur erzählen, daß er im vierzigsten Jahre seines gesegneten
Lebens einen ehrenvollen Tod starb, unterhalb eines Querbalkens, mit
dem ihn ein Seil verband, das man zweckmäßig um seinen Hals gelegt
hatte.
Ich schnitt den Leichnam ab, verbrannte ihn, nachdem ich aus den
Taschen seiner Kleidung die Uhr des Henkers und den goldenen
Bleistift des Staatsanwaltes entfernt hatte, streute die Asche ins Meer
und betete, daß die Seele meines Vaters in den Leib eines heiligen
Affen fahren möge.
Denn ich bin ein frommer Hindu und befolge alle Bräuche meiner
Religion, solange sie nicht mit Unkosten verknüpft sind oder mich in
meinen Lebensgewohnheiten stören.
Die Tränen treten mir in die Augen, wenn ich der letzten Worte
gedenke, die mein Vater zu mir sprach: »Liebes Kind,« sagte er (das
heißt, er drückte sich etwas unhöflicher aus), »liebes Kind, ich steige
morgen die Leiter hinauf, die auch du eines Tages besteigen wirst.
Denn dies ist Überlieferung in unserer Familie. Ich habe mein Leben
mit nichts begonnen, aber ich habe mich zu ansehnlichen Schulden
emporgearbeitet. Wenn du jemanden bei der Nennung meines Namens
weinen siehst, so tritt auf ihn zu und tröste ihn: "Du bist nicht der
einzige, dem er etwas schuldig geblieben ist."
Ich habe dich in meinem Geiste erzogen, mein Kind: du hassest, was
das Leben häßlich macht, nämlich die #Arbeit#, und liebst die
Beschäftigung des Weisen, das #Nichtstun#! Ich bin stolz auf dich: wer
vermöchte ein Geldstück mit so viel heimlichem Nutzen zu wechseln
wie du? Ich glaube, ein Weißer könnte seine Ringe durch die Nase
tragen statt an den Fingern, du würdest sie entfernen, ohne daß er es
bemerkte. Ich sterbe beruhigt. Wenn du von mir sprichst, mein Kind, so
tue es in einem Tone, als stünde ich hinter dir und könnte dich noch
verprügeln, wie ich es so oft und ausgiebig getan habe!«
Bei diesen Worten lächelte ich, mein Vater sah es, versetzte mir einen
Fußtritt, daß ich dachte, das Gefängnis stürze ein, und er fuhr fort:
»Du stehst nun allein in der Welt, allein in der großen
Gaunergemeinschaft, die sich Menschheit nennt. Lerne lachen, wenn es
dir weh ums Herz ist, und lerne weinen, wenn du vor Heiterkeit tanzen
möchtest! Es gibt keine Schlechtigkeit, die sich nicht als Tugend
maskieren ließe! Alles auf dieser Welt ist Schein, und ob du Gutes tust
oder Schlechtes, es wird dir so ergehen, wie es vom #Schicksal#
vorausbestimmt ist. Glaube nicht, daß sich die Götter, die das Schicksal
lenken, durch die Handlungen der Menschen in ihren Entschlüssen
beeinflussen ließen: der Menschen Schicksal ist ihnen nur ein
Würfelspiel!
Verachte die Menschen, wie es das Schicksal selbst tut. Denn was hast
du von ihnen zu erwarten? Wenn du große #Wohltaten# übst, werden
sie dich #beneiden#, -- wenn du aber große #Schelmenstreiche#
ausführst, werden sie dich #bewundern#. Ich habe dich derartig erzogen,
daß du die höchste Bewunderung finden wirst!
Das Erbteil, das ich dir hinterlasse, ist ungeheuer. Denn nicht nur
hinterlasse ich dir Malatri, die Brillenschlange, sondern auch den Inhalt
sämtlicher Westentaschen, Hosentaschen und Brusttaschen sämtlicher
Weißen, die unser Land besuchen!
Lebe wohl, mein Kind!«
So sprach mein Vater, umarmte mich, indes dicke Tränen über seine
Wangen perlten (ein Zeichen, daß ihm sehr heiter zumute war), und
entließ mich. Der Gefängniswärter, der von unserer Unterredung kein
Wort verstanden hatte, führte mich auf die Straße.
In der Nacht machte mein Vater einen mißglückten Ausbruchsversuch,
und am nächsten Tage verließ seine Seele den Leib.
Ich machte vor dem Gefängniswärter eine tiefe Verbeugung, flüsterte
»Salaam«, eine Ehrenbezeigung, bei der man sich die schlimmsten
Beleidigungen denken kann, und schritt gedankenvoll die Straße hinab.
Ich kam vorbei an dem Krankenhaus der Tiere, in dem wir die siechen
Tiere pflegen, bis der Tod ihren Leiden ein Ende setzt. Und wir pflegen
die fallsüchtige Kuh, den aussätzigen Affen, das krätzige Huhn mit
derselben Liebe und Ehrfurcht wie die leidende Ratte und den
verstümmelten Skorpion.
Und ich ging weiter, vorüber an Tempeln und heiligen Teichen, und
kam in den Stadtteil der Weißen, wo der große Bahnhof steht, der uns
die Fremden bringt, auf daß wir ihre Taschen leeren; wo ihre Kirchen
ragen, in denen sie zu einem Gott beten, den ich nicht begreife und
nicht begreifen #will#; wo ihr Regierungspalast, auf dessen breitem
Bau ein schmales Türmchen ruht, wie ein Tragsessel
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.