denn angestellt?«
»Er läßt sich einfach nicht behandeln. Gewalt muß man anwenden, um
ihm einen Verband anzulegen. Zwei Leute müssen ihn festhalten. Er
behauptet nämlich, alle unsere Medikamente seien wertlos, ihm könne
nur ein einziges Mittel helfen, und zwar -- es ist zu blöd, man könnte
darüber lachen, wenn es nicht zum Verzweifeln wäre, --«
»Und zwar?«
»Heiliger Kuhmist!«
Ich verzweifelte nicht, sondern lachte.
»Du hast leicht lachen,« fuhr mein Freund gereizt fort. »Aber mir ist
das gar nicht spaßhaft. Für mich ist ein Kranker ein Kranker, und ich
betrachte es als meine Pflicht, ihn zu retten. Gleichgültig, wer und was
er ist! Da strengt man sich an, müht sich wie ein Vater um so einen
Menschen, und zum Dank tobt und schreit er, wirft einem die
Medizinflaschen ins Gesicht, beißt einem in die Hände -- und brüllt, er
will heiligen Kuhmist haben!«
»Ein hochinteressanter Patient! Du, dem mußt du mich vorstellen!«
»Nein!«
»Wirklich im Ernst: den möchte ich kennen lernen!«
»Wozu?«
»Erstens um ihn zu beruhigen, zweitens um mit ihm zu plaudern.«
»Das wird dir schwer fallen. Mister Galgenstrick spricht ein englisches
Kauderwelsch, das kein Normalmensch verstehen kann.«
»Daher auch wahrscheinlich seine Aufgeregtheit. Der arme Kerl
begreift einfach nicht, was ihr mit ihm vorhabt! Walter, du weißt, ich
spreche Englisch wie meine Muttersprache --«
»Hm!«
»Ich danke dir! "Hm" ist eine halbe Zusage! Also wann werde ich
Mister Galgenstricks Bekanntschaft machen?«
»Morgen um drei Uhr! Aber pünktlich sein!«
»Pünktlich, als ob ich Dr. Heßberg hieße!«
Am nächsten Nachmittag zeigte mir Walter den indischen Patienten. Er
war wegen seiner vorgeschrittenen Tuberkulose in einem
Separatzimmer untergebracht.
Ich hatte erwartet, einen jener abgemergelten Inder zu finden, wie man
sie auf den Bildern der indischen Hungersnöte in illustrierten
Zeitschriften sieht. Zu meiner Überraschung traf ich einen jugendlichen
Mann von nicht unsympathischen Gesichtszügen, dem man seine
schwere Krankheit kaum ansah.
Er lag ruhig im Bett und betrachtete mich mit durchtriebenen Augen,
die eine drollig-naive Spitzbüberei verrieten.
Der Bursche gefiel mir. Wenn ich nach dem ersten Eindruck eine
Diagnose seines Charakters hätte stellen sollen, hätte ich gesagt:
»Windhund.«
»Geh nicht zu nah an ihn ran,« flüsterte mir Dr. Heßberg zu. »Er beißt,
wenn er gereizt wird!«
Aber aus den Augen Mister Galgenstricks sprach keine feindliche
Absicht. Er musterte mich eine Weile schweigend und frug dann:
»Bringst du mir heiligen Kuhmist, Herr?«
Ich muß gestehen, es war das schauderhafteste Englisch, das je meine
Ohren schmerzte.
»Nein,« antwortete ich. »Aber ich werde versuchen, ihn dir zu
verschaffen.«
Walter gab mir einen Rippenstoß. »Bist du verrückt?«
Der Kranke hingegen nickte befriedigt. Ich hatte ihm eine Hoffnung
gegeben, und er war mir dankbar dafür.
»Wann kommst du wieder, Sahib?«
»Morgen!« sagte ich. Und bekam für diese Antwort den zweiten
Rippenstoß.
Und ich kam morgen wieder, und übermorgen, und beinahe täglich.
Freilich, das gewünschte Heilmittel durfte ich ihm nicht verschaffen,
aber ich brachte ihm ein anderes, wohltuendes Heilmittel: Ablenkung.
Ich hatte mich nach wenigen Tagen an sein Kauderwelsch gewöhnt,
verstand ihn fließend und gewann mir dadurch sein Vertrauen.
Ja, ich brachte ihn im Laufe einer Woche so weit, daß er sich willig
behandeln ließ, obwohl er für des Arztes Bemühungen nur ein
verächtliches Lächeln übrig hatte.
»Es ist alles sinnlos,« behauptete er, »aber macht mit mir, was ihr
wollt!«
Mitunter hatte er Stunden der tiefsten Niedergeschlagenheit. Dann
flackerte ein wilder Haß gegen alle Weißen in ihm auf, -- besonders
gegen die Engländer.
Aber er hatte auch Stunden, in denen er lenksam war wie ein Kind.
Und eine solche Stunde benutzte ich zu der Bitte, mir seine
Lebensgeschichte zu erzählen. Ich versprach ihm, sie wörtlich
aufzuschreiben.
Wider alles Erwarten sagte er nach kurzem Besinnen zu.
Und da auch Dr. Heßberg keine Einwendung dagegen hatte, so brachte
ich schon zum nächsten Besuche Bleistift und Papier mit, und Mister
Galgenstrick begann zu diktieren.
Hier ist die Geschichte seiner Erlebnisse.
Ich schrieb sie nieder, wie er sie erzählte, und ich enthalte mich jeden
Kommentars.
Möge sie für sich selbst sprechen.
* * * * *
Ich bin geboren in Bombay, bin der dritte Sohn meines Vaters und
heiße Maharabatigolamatana.
Weil aber dieser Name meinem Vater zu lang war und auf die Dauer zu
einsilbig schien, kürzte er ihn ab und rief mich »Galgenstrick«.
Ich bin Hindu, und unsere Familie gehört der Kriegerkaste an. Mein
Vater war denn auch ein sehr tapferer Mann und lag in beständigem
Krieg mit den englischen Wächtern; die Engländer nämlich sind ein
merkwürdiges Volk: sie selbst stecken mein ganzes Vaterland ein, sie
wollen aber nicht erlauben, daß ein armer Hindu nur eine einzige
fremde goldene Uhr einsteckt, und so kam es öfter zu lebhaften
Meinungsverschiedenheiten zwischen meinem Vater und England.
Bei solchen Meinungsverschiedenheiten pflegte mein Vater sehr heftig
schreiend aufzutreten, weil man ihm den Rücken mit einer Peitsche
bearbeitete, wobei meist der Rücken, seltener die Peitsche entzweiging.
Die dummen Engländer glaubten, durch dieses Peitschen
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