Miss Sara Sampson | Page 8

Gotthold Ephraim Lessing

es nur ohne dieses Lächeln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine
ganze Hölle von Verführung schreckt.
Marwood (vertraulich). Höre nur, mein lieber Mellefont; ich merke
wohl, wie es itzt mir dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack
sind itzt deine Tyrannen. Laß es gut sein; man muß sie austoben lassen.
Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am sichersten
eingeschläfert und endlich gar überwunden, wenn man ihnen freies
Feld läßt. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir nachsagen, kleiner
Flattergeist, daß ich jemals eifersüchtig gewesen wäre, wenn stärkere
Reize als die meinigen dich mir auf eine Zeitlang abspenstig machten?
Ich gönnte dir ja allezeit diese Veränderung, bei der ich immer mehr
gewann als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer, mit neuer Inbrunst in
meine Arme zurück, in die ich dich nur als in leichte Bande und nie als
in schwere Fesseln schloß. Bin ich nicht oft selbst deine Vertraute
gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu vertrauen hattest als die
Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um sie gegen andre zu
verschwenden? Warum glaubst du denn, daß ich itzt einen Eigensinn

gegen dich zu zeigen anfangen würde, zu welchem ich nun eben
berechtiget zu sein aufhöre, oder--vielleicht schon aufgehört habe?
Wenn deine Hitze gegen das schöne Landmädchen noch nicht
verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen
sie bist; wenn du ihren Genuß noch nicht entbehren kannst: wer hindert
dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es für gut befindest?
Mußt du deswegen so unbesonnene Anschläge machen und mit ihr aus
dem Reiche fliehen wollen?
Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemäß,
dessen Häßlichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem
Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust
unterscheiden gelernt.
Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein
Mädchen von schönen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen
müßt doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die
schlüpfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns
gefallen; und bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als Tugend
reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen.
Das Schlimmste aber ist, daß ihr das eine sowohl als das andre
überdrüssig werdet. Wir mögen närrisch oder vernünftig, weltlich oder
geistlich gesinnet sein: wir verlieren unsere Mühe, euch beständig zu
machen, einmal wie das andre. Du wirst an deine schöne Heilige die
Reihe Zeit genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen
Überschlag machen? Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr;
und diesem geh ich noch zwei, aufs längste drei Tage. Hierauf wird
eine ziemlich geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern
acht Tage wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten
wirst du dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt
hast, so wirst du dich zu der äußersten Gleichgültigkeit so schnell
gebracht sehen, daß ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte
Veränderung rechnen darf--Das wäre nun ungefähr ein Monat. Und
diesen Monat, Mellefont, will ich dir noch mit dem größten Vergnügen
nachsehen; nur wirst du erlauben, daß ich dich nicht aus dem Gesichte
verlieren darf.

Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit
welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst glücklich gewesen zu sein.
Ein tugendhafter Entschluß sichert mich gegen Ihre Zärtlichkeit und
gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht länger
aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als
daß Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die
Ihnen alle Hoffnung auf meine Rückkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei
vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem
Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen
lassen.
Marwood. Gut, daß Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von
wem hatten Sie ihn schreiben lassen?
Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben?
Marwood. Unmöglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich
weiß nicht was für Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen
verschwendet haben, mußte ein Gastwirt, sowie den übrigen
theologischen Rest ein Quäker geschrieben haben. Demungeachtet will
ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt
anbelangt, so wissen Sie wohl, daß alle die Geschenke, welche Sie mir
gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen
nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es
wieder in diejenigen Hände zu liefern, die mir es anvertrauet hatten.
Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood.
Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was hätte ich ohne Ihre
Person für ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so
müssen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich für
keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von
wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie
sollen den Augenblick
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