Miss Sara Sampson | Page 9

Gotthold Ephraim Lessing
wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne
meine Bekanntschaft geblieben wären; und vielleicht auch nicht.
Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet
itzt aus Ihnen! Eine wollüstige Marwood denkt so edel nicht.

Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig.
Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, daß Sie mir diese
Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet
mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafür sagen
wollten, würde ich für eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen
andern Sinn als diesen haben könnte: "Marwood, ich hielt Euch für eine
niederträchtige Betrügerin; ich bedanke Mich, daß Ihr es wenigstens
gegen mich nicht sein wollt."
Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern
in einen Streit von Großmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am
ungernsten unterliegen möchte.
Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr
Andenken bei mir erneuern könnte. Arm, verachtet, ohne Ehre und
ohne Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen
rege zu machen. Ich will Ihnen in der unglücklichen Marwood nichts
als eine Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen
für Sie aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie
mich sahen und liebten; an den ersten Tag, da auch ich Sie sahe und
liebte; an das erste stammelnde, schamhafte Bekenntnis, das Sie mir zu
meinen Füßen von Ihrer Liebe ablegten; an die erste Versicherung von
Gegenliebe, die Sie mir auspreßten; an die zärtlichen Blicke, an die
feurigen Umarmungen, die darauf folgten; an das beredte
Stillschweigen, wenn wir mit beschäftigten Sinnen einer des andern
geheimste Regungen errieten und in den schmachtenden Augen die
verborgensten Gedanken der Seele lasen; an das zitternde Erwarten der
nahenden Wollust; an die Trunkenheit ihrer Freuden; an das süße
Erstarren nach der Fülle des Genusses, in welchem sich die ermatteten
Geister zu neuen Entzückungen erholten. An alles dieses will ich Sie
erinnern und dann Ihre Knie umfassen und nicht aufhören, um das
einzige Geschenk zu bitten, das Sie mir nicht versagen können und ich,
ohne zu erröten, annehmen darf,-- um den Tod von Ihren Händen.
Mellefont. Grausame! noch wollte ich selbst mein Leben für Sie
hingeben. Fordern Sie es; fordern Sie es; nur auf meine Liebe machen
Sie weiter keinen Anspruch. Ich muß Sie verlassen, Marwood, oder

mich zu einem Abscheu der ganzen Natur machen. Ich bin schon
strafbar, daß ich nur hier stehe und Sie anhöre. Leben Sie wohl! leben
Sie wohl!
Marwood (die ihn zurückhält). Sie müssen mich verlassen? Und was
wollen Sie denn, das aus mir werde? So wie ich itzt bin, bin ich Ihr
Geschöpf; tun Sie also, was einem Schöpfer zukömmt; er darf die Hand
von seinem Werke nicht eher abziehn, als bis er es gänzlich vernichten
will.--Ach, Hannah, ich sehe wohl, meine Bitten allein sind zu schwach.
Geh, bringe meinen Vorsprecher her, der mir vielleicht itzt auf einmal
mehr wiedergeben wird, als er von mir erhalten hat.
(Hannah geht ab.)
Mellefont. Was für einen Vorsprecher, Marwood?
Marwood. Ach, einen Vorsprecher, dessen Sie mich nur allzugern
beraubet hätten. Die Natur wird seine Klagen auf einem kürzern Wege
zu Ihrem Herzen bringen--
Mellefont. Ich erschrecke. Sie werden doch nicht--

Vierter Auftritt
Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood.
Mellefont. Was seh ich? Sie ist es!--Marwood, wie haben Sie sich
unterstehen können--
Marwood. Soll ich umsonst Mutter sein?--Komm, meine Bella, komm;
sieh hier deinen Beschützer wieder, deinen Freund, deinen--Ach! das
Herz mag es ihm sagen, was er noch mehr als dein Beschützer, als dein
Freund sein kann.
Mellefont (mit abgewandtem Gesichte). Gott! wie wird es mir hier
ergehen?

Arabella (indem sie ihm furchtsam näher tritt). Ach, mein Herr! Sind
Sie es? Sind Sie unser Mellefont?--Nein doch, Madam, er ist es nicht.-
-Würde er mich nicht ansehen, wenn er es wäre? Würde er mich nicht
in seine Arme schließen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglückliches
Kind! Womit hätte ich ihn denn erzürnt, diesen Mann, diesen liebsten
Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen?
Marwood. Sie schweigen, Mellefont? Sie gönnen der Unschuldigen
keinen Blick?
Mellefont. Ach!--
Arabella. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Können wir ihm nicht
helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm
seufzen.--Ach, nun sieht er mich an!--Nein, er sieht wieder weg! Er
sieht gen Himmel! Was wünscht er? Was bittet er vom Himmel?
Möchte er ihm doch alles gewähren, wenn er mir auch alles dafür
versagte!
Marwood. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Füßen. Er will uns
verlassen; er will uns auf ewig verlassen.
Arabella (die vor ihm niederfällt). Hier liege ich schon. Sie uns
verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine kleine
Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermißt haben? Wir sollen Sie wieder
vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, daß Sie
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