Miss Sara Sampson | Page 7

Gotthold Ephraim Lessing
Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande,
ihm eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben
könne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte, itzt
nicht anders als durch List wiederbekommen können; er hatte auf mehr
als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht
ausdrücklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen
und sich für die Mutter des Kindes ausgeben würde, durchaus nicht
vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er
zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren Teil
seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen ihren Reizen,
bis zum Überdrusse, gesättiget hat.
Hannah. Welcher Undank!
Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich
nach sich als Gefälligkeiten, für die kein Dank zu groß wäre. Warum
habe ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefälligkeiten? Hätte ich es
nicht voraussehen sollen, daß sie ihren Wert nicht immer bei ihm
behalten könnten? Daß ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses
beruhe und daß er mit derjenigen Anmut verschwinden müsse, welche
die Hand der Zeit unmerklich, aber gewiß, aus unsern Gesichtern
verlöscht?
Hannah. O, Madam, von dieser gefährlichen Hand haben Sie noch
lange nichts zu befürchten. Ich finde, daß Ihre Schönheit den Punkt
ihrer prächtigsten Blüte so wenig überschritten hat, daß sie vielmehr
erst darauf losgeht und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln würde,
wenn Sie ihr nur Vollmacht dazu geben wollten.
Marwood. Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer
Gelegenheit, die mir alle Schmeichelei verdächtig macht. Es ist Unsinn,
von neuen Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kräfte
genug hat, sich im Besitze der schon gemachten zu erhalten.

Zweiter Auftritt
Ein Bedienter. Marwood. Hannah.
Der Bediente. Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen.
Marwood. Wer?
Der Bediente. Ich vermute, daß es ebender Herr ist, an welchen der
vorige Brief überschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm,
der mir ihn abgenommen hat.
Marwood. Mellefont!--Geschwind, führe ihn herauf! (Der Bediente
geht ab.) Ach, Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was
soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig genug?
Sieh doch!
Hannah. Nichts weniger als ruhig.
Marwood. Aber diese?
Hannah. Geben Sie ihr noch mehr Anmut.
Marwood. Etwa so?
Hannah. Zu traurig!
Marwood. Sollte mir dieses Lächeln lassen?
Hannah. Vollkommen! Aber nur freier--Er kömmt.

Dritter Auftritt
Mellefont. Marwood. Hannah.
Mellefont (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood--
Marwood (die ihm mit offnen Armen lächelnd entgegenrennt). Ach

Mellefont--
Mellefont (beiseite). Die Mörderin, was für ein Blick!
Marwood. Ich muß Sie umarmen, treuloser, lieber Flüchtling!--Teilen
Sie doch meine Freude!--Warum entreißen Sie sich meinen
Liebkosungen?
Mellefont. Marwood, ich vermutete, daß Sie mich anders empfangen
würden.
Marwood. Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr
Entzücken? Ach, ich Unglückliche, daß ich weniger ausdrücken kann,
als ich fühle!--Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, daß auch die Freude
ihre Tränen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der süßesten Wollust!--
Aber ach, verlorne Tränen! seine Hand trocknet euch nicht ab.
Mellefont. Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden
bezaubert hätten. Sie müssen itzt in einem andern Tone mit mir
sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwürfe anzuhören und darauf
zu antworten.
Marwood. Vorwürfe? Was hätte ich Ihnen für Vorwürfe zu machen,
Mellefont? Keine.
Mellefont. So hätten Sie, sollt' ich meinen, Ihren Weg ersparen können.
Marwood. Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit
Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in
ebendem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze
Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet, verdient
diese Vorwürfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darüber scherzen.
Mellefont. Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es
jemals an allen unsern Liebeshändeln gehabt hat, auf die ich itzt nicht
ohne Abscheu zurücksehen kann.
Marwood. Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Närrchen. Es läßt sich alles

bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfällt. Glauben Sie mir
doch, ich kenne es besser als Sie. Wenn es nicht das beste, das
getreuste Herz wäre, würde ich mir wohl so viel Mühe geben, es zu
behalten?
Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich Ihnen.
Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch.
Mellefont. Marwood, wenn ich wüßte, daß Sie auch nur noch eine
Faser davon besäßen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen,
aus meinem Leibe reißen.
Marwood. Sie würden sehen, daß Sie meines zugleich herausrissen.
Und dann, dann würden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der
Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben.
Mellefont (beiseite). Was für eine Schlange! Hier wird das beste sein
zu fliehen.--Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir
nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie
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