Miss Sara Sampson | Page 8

Gotthold Ephraim Lessing
Wenn deine Hitze gegen das sch?ne Landm?dchen noch nicht verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen sie bist; wenn du ihren Genu? noch nicht entbehren kannst: wer hindert dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es für gut befindest? Mu?t du deswegen so unbesonnene Anschl?ge machen und mit ihr aus dem Reiche fliehen wollen?
Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gem??, dessen H??lichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust unterscheiden gelernt.
Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein M?dchen von sch?nen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen mü?t doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die schlüpfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns gefallen; und bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als Tugend reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das Schlimmste aber ist, da? ihr das eine sowohl als das andre überdrüssig werdet. Wir m?gen n?rrisch oder vernünftig, weltlich oder geistlich gesinnet sein: wir verlieren unsere Mühe, euch best?ndig zu machen, einmal wie das andre. Du wirst an deine sch?ne Heilige die Reihe Zeit genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen überschlag machen? Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr; und diesem geh ich noch zwei, aufs l?ngste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt hast, so wirst du dich zu der ?u?ersten Gleichgültigkeit so schnell gebracht sehen, da? ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Ver?nderung rechnen darf--Das w?re nun ungef?hr ein Monat. Und diesen Monat, Mellefont, will ich dir noch mit dem gr??ten Vergnügen nachsehen; nur wirst du erlauben, da? ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf.
Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst glücklich gewesen zu sein. Ein tugendhafter Entschlu? sichert mich gegen Ihre Z?rtlichkeit und gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht l?nger aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als da? Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die Ihnen alle Hoffnung auf meine Rückkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen lassen.
Marwood. Gut, da? Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von wem hatten Sie ihn schreiben lassen?
Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben?
Marwood. Unm?glich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich wei? nicht was für Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen verschwendet haben, mu?te ein Gastwirt, sowie den übrigen theologischen Rest ein Qu?ker geschrieben haben. Demungeachtet will ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt anbelangt, so wissen Sie wohl, da? alle die Geschenke, welche Sie mir gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es wieder in diejenigen H?nde zu liefern, die mir es anvertrauet hatten.
Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood.
Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was h?tte ich ohne Ihre Person für ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so müssen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich für keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne meine Bekanntschaft geblieben w?ren; und vielleicht auch nicht.
Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet itzt aus Ihnen! Eine wollüstige Marwood denkt so edel nicht.
Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig. Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, da? Sie mir diese Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafür sagen wollten, würde ich für eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen andern Sinn als diesen haben k?nnte: "Marwood, ich hielt Euch für eine niedertr?chtige Betrügerin; ich bedanke Mich, da? Ihr es wenigstens gegen mich nicht sein wollt."
Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern in einen Streit von Gro?mut zu verwickeln drohet, in welchem ich am ungernsten unterliegen m?chte.
Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr Andenken bei mir erneuern k?nnte. Arm, verachtet, ohne Ehre und ohne Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen rege zu machen. Ich will Ihnen in der unglücklichen Marwood nichts als eine Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen für Sie aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie mich sahen und liebten;
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