Minna von Barnhelm | Page 6

Gotthold Ephraim Lessing

Werner Ich komme die Hintertreppe herauf. Nun, wie geht's ihm? Ich
wäre schon vorige Woche bei euch gewesen, aber--

Just Nun? was hat dich abgehalten?--
Werner --Just--hast du von dem Prinzen Heraklius gehört?
Just Heraklius? Ich wüßte nicht.
Werner Kennst du den großen Helden im Morgenlande nicht?
Just Die Weisen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr
mit dem Sterne herumlaufen.--
Werner Mensch, ich glaube, du liesest ebensowenig die Zeitungen als
die Bibel?--Du kennst den Prinzen Heraklius nicht? den braven Mann
nicht, der Persien weggenommen und nächster Tage die Ottomanische
Pforte einsprengen wird? Gott sei Dank, daß doch noch irgendwo in der
Welt Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder
losgehen. Aber da sitzen sie und heilen sich die Haut. Nein, Soldat war
ich, Soldat muß ich wieder sein! Kurz--(indem er sich schüchtern
umsieht, ob ihn jemand behorcht) im Vertrauen, Just, ich wandere nach
Persien, um unter Sr. Königlichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein
paar Feldzüge wider den Türken zu machen.
Just Du?
Werner Ich, wie du mich hier siehst! Unsere Vorfahren zogen fleißig
wider den Türken, und das sollten wir noch tun, wenn wir ehrliche
Kerls und gute Christen wären. Freilich begreife ich wohl, daß ein
Feldzug wider den Türken nicht halb so lustig sein kann, als einer
wider den Franzosen; aber dafür muß er auch desto verdienstlicher sein,
in diesem und in jenem Leben. Die Türken haben dir alle Säbels, mit
Diamanten besetzt--
Just Um mir von so einem Säbel den Kopf spalten zu lassen, reise ich
nicht eine Meile. Du wirst doch nicht toll sein und dein schönes
Schulzengerichte verlasen?--
Werner Oh, das nehme ich mit!--Merkst du was?--Das Gütchen ist
verkauft--

Just Verkauft?
Werner St!--hier sind hundert Dukaten, die ich gestern auf den Kauf
bekommen; die bring ich dem Major--
Just Und was soll der damit?
Werner Was er damit soll? Verzehren soll er sie, verspielen, vertrinken,
ver--, wie er will. Der Mann muß Geld haben, und es ist schlecht genug,
daß man ihm das Seinige so sauer macht! Aber ich wüßte schon, was
ich täte, wenn ich an seiner Stelle wäre! Ich dächte: hol euch hier alle
der Henker, und ginge mit Paul Wernern, nach Persien!--Blitz!--Der
Prinz Heraklius muß ja wohl von dem Major Tellheim gehört haben,
wenn er auch schon seinen gewesenen Wachtmeister, Paul Wernern,
nicht kennt. Unsere Affäre bei den Katzenhäusern--
Just Soll ich dir die erzählen?--
Werner Du mir?--Ich merke wohl, daß eine schöne Disposition über
deinen Verstand geht. Ich will meine Perlen nicht vor die Säue
werfen.--Da nimm die hundert Dukaten; gib sie dem Major. Sage ihm,
er soll mir auch die aufheben. Ich muß jetzt auf den Markt; ich habe
zwei Winspel Roggen hereingeschickt; was ich daraus löse, kann er
gleichfalls haben. --
Just Werner, du meinest es herzlich gut; aber wir mögen dein Geld
nicht. Behalte deine Dukaten, und deine hundert Pistolen kannst du
auch unversehrt wiederbekommen, sobald als du willst.--
Werner So? Hat denn der Major noch Geld?
Just Nein.
Werner Hat er sich wo welches geborgt?
Just Nein.
Werner Und wovon lebt ihr denn?

Just Wir lassen anschreiben, und wenn man nicht mehr anschreiben
will und uns zum Hause hinauswirft, so versetzen wir, was wir noch
haben, und ziehen weiter.--Höre nur, Paul; dem Wirte hier müssen wir
einen Possen spielen.
Werner Hat er dem Major was in den Weg gelegt?--Ich bin dabei!--
Just Wie wär's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie
kömmt, aufpaßten und ihn brav durchprügelten?--
Werner Des Abends?--aufpaßten?--ihre zwei, einem?--Das ist nichts.--
Just Oder wenn wir ihm das Haus über dem Kopf ansteckten?--
Werner Sengen und brennen?--Kerl, man hört's, daß du Packknecht
gewesen bist und nicht Soldat--pfui!
Just Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar
verdammt häßlich--
Werner Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du
auch hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?
Just Komm nur, du sollst dein Wunder hören!
Werner So ist der Teufel wohl hier gar los?
Just Jawohl; komm nur!
Werner Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!

2. Akt

1. Szene
(Die Szene ist in dem Zimmer des Fräuleins.) (Minna von Barnhelm.

Franziska.)
Fräulein (im Negligé, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch
sehr früh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.
Franziska Wer kann denn in den verzweifelten großen Städten schlafen?
Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die
Korporals-- das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu
mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger wäre als
zur Ruhe. --Eine Tasse Tee, gnädiges Fräulein?--
Fräulein Der Tee schmeckt mir nicht.--
Franziska Ich will von unserer Schokolade machen lassen.
Fräulein Laß machen, für dich!
Franziska Für mich? Ich wollte ebensogern für mich allein plaudern als
für mich allein trinken.--Freilich wird uns
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