Memoiren einer Sozialistin | Page 8

Lily Braun
Aufenthaltes zu sich in ihr K��nstlerheim geladen hatten. Jedes M?belst��ck, jeder Teppich und jede Vase standen in den sch?nen lichten R?umen des Hauses in feiner Harmonie zueinander, nur die Gem?lde an den W?nden schienen sie mi?t?nig zu zerst?ren, und in dem gro?en Atelier schrieen sie f?rmlich. Bilder des Elends waren es, des Hungers und der Verzweiflung, Bilder des Krieges, auf denen von Wunden grauenvoll Zerrissene die H?nde krampfhaft gespreizt oder w��tend geballt gen Himmel streckten. Der Hausherr malte sie und nichts als sie, -- ein milder, g��tiger Mann mit grauem Patriarchenbart und den Augen eines J��nglings. Wo immer das Leid der Kreatur zum Ausdruck kam, war sein Herz und sein Interesse, von der Friedensbewegung an bis zur Tierschutzbewegung. Er geh?rte zu den Menschen, die ��berall im einzelnen helfen und wirken wollen, wie der ungelernte G?rtner, der da und dort einem armen Pfl?nzlein durch k��nstliche Nahrung oder durch den st��tzenden Stab aufhelfen will, aber bei all seinem aufreibenden Eifer nicht steht, da? der ganze Boden schlecht ist. Sein wei?blondes zartes Frauchen l?chelte oft ganz heimlich, wie eine kleine Mutter zu den Spielen ihres Kindes, die sie mit der Weisheit der Erwachsenen nicht st?ren will.
Ihr Haus ��bte eine magnetische Anziehungskraft auf Alles aus, was abseits der gro?en Heerstra?e ging. Shaw traf ich hier wieder als h?ufigen Gast; Peter Krapotkin geh?rte zu den Intimen des Hauses, -- der gro?e Revolution?r, der doch ein Kind war: gut und vertrauensselig und voll phantastischer Tr?ume wie ein solches. William Stead, dessen r��cksichtsloser Kampf gegen die sittliche F?ulnis der londoner Gesellschaft ihm einen europ?ischen Ruf verschafft hatte, begegnete mir hier zum erstenmal und zog mich in den Bannkreis seiner starken Pers?nlichkeit. Seine Augen, deren opalisierende Lichter wie durch geheimnisvoll dar��ber gebreitete Schleier schienen, ��bten eine faszinierende Wirkung aus, und wenn er von seinem Verkehr mit den Geistern Abgeschiedener erz?hlte, wenn er von den Kr?ften der Seele sprach, die unerweckt auch in mir schlummern m��?ten, so bedurfte ich der ganzen N��chternheit meines Verstandes, der ganzen St?rke meiner fanatisch materialistischen Weltanschauung, um mich seinem Einflu? zu entziehen.
?Ich will mich nicht mit Problemen besch?ftigen, die mich von dem Problem ablenken k?nnten, dessen L?sung meine einzige Aufgabe ist: dem des Elends in der Welt ...? antwortete ich ihm eines Tages, als er mich mit Annie Besant bekannt machen wollte, die sich eben vom Sozialismus abgewandt hatte und zur begeisterten Verk��nderin theosophischer Ideen geworden war. ?M?gen andere heute, wo die Zeit dr?ngt, es vor sich selbst verantworten, wenn sie ihren Tr?umen nachh?ngen...?
?Sie werden nie mehr tr?umen?!? Mit einem Blick und einem L?cheln begleitete Stead seine Frage, die mir das Blut in die Wangen trieben. Er nahm meine beiden H?nde zwischen die seinen -- H?nde, die in ihrer Kraft und ihrer Weiche zum Sch��tzen wie zum Streicheln gleich geschaffen waren --, und seine Augen bohrten sich in meine Z��ge.
?Ich liebe Ihre Tapferkeit und Ihre Klugheit, aber was mich Ihre Freundschaft suchen lie?, das ist Ihr unbewu?tes Ich, das sind Ihre Tr?ume, die Sie vergessen, wenn Sie wachen, von denen mir aber noch Ihre Augen erz?hlen, -- das ist die tiefe Sehnsucht, die Ihr Wesen ��ber sich selbst hinauszieht.?
Ich fuhr an jenem Tage mit ihm hinaus nach Wimbledon, wo sich zwischen hohen Hecken und alten B?umen sein kleines, stilles Haus versteckte. Und im verwilderten Garten unter dem schattenden Laubdach duftender Linden lag ich in der H?ngematte und lie? mir von ihm die Kissen unter den Kopf schieben.
?Sie sind m��de??
?Sehr!?
?Ihr Leben ist Seelen-Selbstmord.?
Seine Hand glitt sanft ��ber meine Stirn. Viele bunte Schmetterlinge gaukelten ��ber ein Meer gelber Blumen, und zwei Libellen tanzten ��ber dem kleinen stillen Teich z?rtlich miteinander. Vom Herzen aus zuckte ein schneidendes Weh mir durch den K?rper, die Augen f��llten sich mit Tr?nen. Was war es nur, das mich ��berw?ltigte?!
?Wie Ihre Jugend um ihr Leben weint!? sagte leise der Mann neben mir. Meine Jugend?! Kaum wu?te ich noch, ob ich alt war oder jung. Ich stand wohl schon lange jenseits jeden Alters!
Schweigsam fuhren wir beide nach London zur��ck. Ich f��hlte die Hand meines Begleiters auf der meinen -- streichelnd, sch��tzend. Nachts schluchzte ich verzweifelt in die Kissen, und morgens, als ich mich zur gewohnten Arbeit am Fenster niedersetzte, schweiften meine Gedanken weit hinaus ��ber die Baumwipfel -- in den gl��henden Sommertag -- in das Leben. Ich ging umher, mir selbst fremd geworden, mit anderen Augen. Ich entdeckte im Spiegel mein Gesicht wie das einer Fremden. Mechanisch l?ste ich die Witwenhaube aus den Haaren. ?Georg -- Georg --? schrie es in mir, ?nie bin ich deine Frau gewesen -- wie kann ich deine Witwe sein?!?
Die Menschen um mich kamen mir ver?ndert vor: ich f��hlte M?nnerblicke, die das Weib in mir suchten und nicht die Gesinnungsgenossin, und H?ndedr��cke, die andere Empfindungen verrieten als die blo?er Freundschaft. Und wenn ich auf den gr��nen Wiesen im Hydepark blonde rosige Kinder sah, kam ich mir vor wie
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