Memoiren einer Sozialistin | Page 5

Lily Braun
an Buntheit zu ��bertreffen suchen, w?hrend im Inneren Tapeziergeschmack und Konvention uneingeschr?nkt herrschen.
In Wohlt?tigkeits- und Bildungsanstalten aller Art wurden wir eingef��hrt, und wie in der Frauenbewegung, so imponierte mir hier die Einheitlichkeit ihrer Organisation, deren gewaltige R?derwerke so selbstverst?ndlich ineinander griffen wie die jener Dampfturbinen, bei deren Anblick wir nicht wissen, ob wir die praktische Kunst ihrer Sch?pfer oder die fremdartig-neue Sch?nheit ihres Baus mehr bewundern sollen.
Der Kongre? selbst war eine Parade, wie fast alle Kongresse. Die Reden, die gehalten, die Berichte, die gegeben wurden, waren den Eingeweihten ihrem Inhalt nach aus B��chern und Brosch��ren bekannt. Der Austausch von Meinungen, der das wichtigste gewesen w?re, wurde an zweite Stelle ger��ckt, er h?tte die Ordnung und den Glanz der Heerschau am Ende tr��ben k?nnen. So w?re als Gewinn allein die Ankn��pfung pers?nlicher Beziehungen ��brig geblieben, aber auch er war bei n?herem Zusehen f��r mich nur gering: diese Frauen hatten mir nichts Neues zu sagen. Ihr A und O, das Frauenstimmrecht, war f��r mich in dem Augenblick erledigt gewesen, als ich die Selbstverst?ndlichkeit seiner Forderung erkannt hatte.
Bei einer internen Sitzung der Delegationen wurde ich zur Pr?sidentin f��r Frauenstimmrecht in Deutschland gew?hlt. Meine ablehnende Haltung wurde unter allgemeinem Erstaunen als eine Aufgabe des Prinzips betrachtet.
?Sie alle haben ihre ganze Kraft auf die L?sung dieser einen Frage konzentriert,? sagte ich in dem Versuch, mich verst?ndlich zu machen, ?ich bewundere Sie, aber ich kann Ihnen nicht folgen. Das Frauenstimmrecht ist heute f��r mich nicht mehr das Ziel, f��r das ich mein Leben einsetze, es ist nur ein Ziel, nur eine Etappe ...?
Man verstand mich nicht, von irgend einer Seite fiel sogar das scharfe Wort: ?... unbrauchbar f��r praktische Arbeit.?
Gleich nach der Schlu?sitzung des Kongresses wechselte ich mein Domizil. Freunde von Stratford -- ein liberaler Parlamentarier und seine sch?ne elegante Frau -- hatten mich in ihr Haus am Hydepark eingeladen. Alles trug dort den Anstrich ausgesuchtester Vornehmheit: vom Zeremoniell der Lebensweise, dem deutschen Hauslehrer und der franz?sischen Gouvernante bis zu dem w��rdevollen, glattrasierten Bedienten und dem niedlichen Kammerm?dchen. Hausherr und Hausfrau verstie?en mit keiner Miene und keiner Bewegung gegen die Regeln der guten Gesellschaft, und doch wurde ich den Eindruck nicht los, der uns gegen��ber guten Kopien gro?er Meisterwerke oft bef?llt: wir erstaunen ��ber die Technik und vermissen um so schmerzhafter den Geist. Da? Stratford sich hier heimisch f��hlte, mit allen Fibern die parf��mierte Luft dieser von tausend Nichtigkeiten ��berladenen Salons einatmete, machte ihn mir noch fremder. Und als ich ihn in der Ethischen Gesellschaft reden h?rte inmitten einer Korona von lauter typischen Vertretern der Geldaristokratie, denen seine Sittenpredigten dieselbe angenehme Emotion boten wie die Moral der biblischen Geschichten den Frommen in der Kirche, da mu?te ich mir seine Briefe, seine Schriften ins Ged?chtnis rufen, um noch Georgs Freund in ihm zu erkennen.
Er ging den Weg, den ich nach dem Wunsche meiner Familie gehen sollte, -- wie w��rde ich jemals imstande dazu sein?!
?Sie sind sehr ungerecht,? sagte er eines Tages, als ich ihm in meiner heftigen Art, die der Unruhe meines eigenen Innern entsprang, ��ber seine T?tigkeit als ?Modeprediger? Vorw��rfe machte. ?Sie kennen mich nur von der einen Seite.? Noch am selben Abend sollte ich die andere kennen lernen.
An der Ecke von zwei engen Stra?en, beim Scheine einer tr��be flackernden Laterne sprach er ��ber die Ethik des Sozialismus. Zuerst blieben nur ein paar neugierige Bummler stehen, aber je st?rker seine Stimme von den Mauern widerhallte, desto mehr Menschen sammelten sich um ihn. M��de, zerlumpte Gestalten krochen wie Nachtgespenster aus den Kellern hervor, Hoft��ren ?ffneten sich, und umwogt von einer Wolke ekler Ger��che erschienen Frauen mit zerw��hlten Z��gen, halbw��chsige M?dchen, deren freches Grinsen allm?hlich zuckendem Schluchzen wich. Mit w��stem Geschrei stie?en sich trunkene Burschen aus der n?chsten Kneipe heraus, und nach und nach entz��ndeten sich Lichter des Verstehens in ihren eben noch bl?d glotzenden Augen. Die Stra?e wurde schwarz vor Menschen. Stratford sprach mit steigender Begeisterung. Um seinen roten Bart tanzten die Lichter der Laternen, seine Augen strahlten vom eigenen Feuer. Ich h?rte kaum, was er sagte, ich sah nur die Wirkung seiner Worte. Aus den vertiertesten Gesichtern brach ein Schein von Menschentum hervor, ein froher Zug von Hoffnung verwischte tiefe Kummerfalten.
Wir gingen schweigsam durch die Nacht nach Hause. Vor der T��re reichte ich ihm die Hand.
?Ich w��rde Sie nach dem, was ich eben erlebte, um Verzeihung bitten, meiner Vorw��rfe wegen, wenn ich nicht grade dadurch w��?te, da? Sie doppelt schuldig sind. Ein Mann wie Sie geh?rt der Sache des Sozialismus, und keiner anderen ...?
?Vielleicht haben Sie recht,? antwortete er leise, ?w?ren nur nicht der Fesseln so viele, die uns an das andere Leben schmiedeten -- --?
?Wir werden sie beide zerbrechen m��ssen --?
* * * * *
Im Hause meiner Gastfreunde drehte sich das Interesse fast ausschlie?lich um Fragen der Politik. Was f��r andere Frauen der Gesellschaft der Flirt, die Kunst, die Toilette, das Theater war: Reizmittel f��r
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