Memoiren einer Sozialistin | Page 6

Lily Braun
des entkr?fteten, vollkommen entstellten Mannes. Er war es, der sie l?chelnd tr?sten mu?te.
Viele, viele Wochen lag er auf dem Krankenlager, das ihm in seinem Wohnzimmer errichtet worden war. Je mehr seine Genesung vorschritt, desto eifriger besch?ftigte er sich mit mir. Ich habe nie einen Mann gesehen, der wie er mit kleinen Kindern spielen konnte.
Meine erste traumhafte Erinnerung, -- ich bin immer ausgelacht worden, wenn ich von ihr erz?hlte, da ich doch damals noch nicht zwei Jahre alt war --, f��hrt mich in einen dunkel verh?ngten Raum vor ein gro?es braunes Bett, aus dem mir ein blasser Mann die Arme entgegenstreckte. Ich wei?, da? ich laut aufschrie, da? der Mann den Kopf m��de zur��cklegte und ich mich ausatmend in meinem hellen St��bchen wiederfand. Und sp?ter sah ich ihn im Rollstuhl wieder und mich auf seinem Scho? mit seiner gro?en, dicken Uhr spielend, die, weil sie mit so z?rtlichem, feinen Stimmchen alle Viertelstunden schlug, f��r mich immer etwas Lebendiges gewesen ist. Wende ich ein andres Blatt der Erinnerung um, so seh ich gro?e rote Blumenkerzen in mein Fenster hereinleuchten. Das war in Potsdam, wohin mein Vater nach dem Feldzug versetzt wurde, und wo wir in einem gartenums?umten Haus, vor dem ein alter Kastanienbaum Wache hielt, das erste Stockwerk bezogen. Neben uns, nur durch den Gartenzaun getrennt, wohnte meiner Mutter zweiter Bruder Max, der bei den Gardehusaren Leutnant war und eine els?ssische Cousine geheiratet hatte. Werner, ihr Sohn, war nur um wenige Monate j��nger als ich. Unter uns aber, in die Parterrewohnung mit der gro?en Terrasse, auf deren Balustrade kleine Steinengelchen sa?en, die in meinen Tr?umen immer lebendig wurden, zog, kaum ein Jahr nach unsrer ��bersiedlung, die Gro?mutter ein.
Walter Golzow hatte nach dem Kriege den bunten Rock mit dem sch?nen himmelblauen Kragen ausgezogen und das Gut ��bernommen, dessen Gesch?fte die Gro?mutter bis dahin mit Hilfe des erprobten Verwalters gewissenhaft und in der alten Weise geleitet hatte. Sie versuchte dann noch eine Zeitlang, neben dem Sohn zu wirken und zu arbeiten, wie sie es fr��her gewohnt gewesen war. Aber zu hart stie?en die Gegens?tze aneinander: in ihrer Milde sah Walter Schw?che, in ihrer Wohlt?tigkeit Verschwendung. Es kam auch tats?chlich zuweilen vor, da? ihre G��te mi?braucht wurde, da? man die allzeit Hilfsbereite, die an jedem Menschen etwas Gutes sah oder herauszulocken verstand, hinterging und betrog. Das nahm ihr Sohn zum Vorwand, ihrem barmherzigen Wirken mehr und mehr Hindernisse in den Weg zu legen. Doch dies alles h?tte sie nicht so schwer getroffen, da sie als Herrin ihres Verm?gens damit machen konnte, was ihr gut schien; unertr?glich wurde ihr die Existenz vielmehr erst durch die fast fieberhafte Neuerungssucht Walters: nichts in der Wirtschaft und im Hause schien ihm mehr gut genug, und Umwandlungen und Neuanschaffungen, die ein vorsichtiger, auf alle M?glichkeiten schlechter Jahre vorbereiteter Gutsherr auf einen langen Zeitraum verteilt, sollten jetzt in wenigen Monden vor sich gehen. Die Gro?mutter sorgte, warnte, bat, -- sie predigte tauben Ohren. Die St?lle f��llten sich mit Luxuspferden, die Wirtschaftsr?ume mit neuen Maschinen aller Art, deren Handhabung selten einer verstand, das Herrenhaus mit modernen M?beln, vor deren geschmacklosem Prunk der alte, solide Hausrat aus Urv?ter Tagen weichen mu?te. Es kam zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Sohn, die ihren H?hepunkt erreichten, als sie sah, wie er auf die Wange eines ungeschickten Reitknechts die Peitsche niedersausen lie?, so da? der junge Mensch blutend zu Boden sank. Wenige Tage darauf entf��hrte der alte breite Kutschwagen mit den wohlgen?hrten Braunen davor die Gro?mutter von der St?tte ihrer jahrzehntelangen Wirksamkeit, von dem erinnerungsreichen Boden ihrer zweiten Heimat. Sie sah sich nicht um, und sie weinte nicht; zu tief empfand sie das schwerste Geschick, das ein Weib treffen kann: fremde Kinder zu haben.
Ich war vier Jahre, als die Gro?mutter nach Potsdam kam. Ein ?lbild von Tochter und Enkelin, das damals f��r sie gemalt worden war, zeigt, da? auch ich meiner Mutter solch ein fremdes Kind gewesen bin: von ihrer lichten Erscheinung mit dem hellblonden Haar, der durchsichtigen Haut, den meerblauen Augen sticht das kleine M?dchen seltsam ab, um dessen schmales gelbliches Antlitz dunkle schwere Locken sich ringeln, dessen schwarze Augen fragend und vertr?umt ins Weite sehen. Von klein an bewunderte ich neidvoll meiner Mutter nordische Sch?nheit, und wenn meine Freunde mir Tr?nen des Zorns entlocken wollten, brauchten sie mich nur ?schwarze Alix? zu rufen; sie waren selbst alle blond, und schon bei den Unm��ndigen wirkt die Majorit?t ��berzeugend. Die Anf��hrer bei solchen Sp??en, die mir den Umgang mit meinesgleichen fr��h verleideten, waren meist mein Vetter Werner und Adda, das T?chterchen eines der Regimentskameraden meines Vaters. Mit jener Grausamkeit, die nur den kleinen Menschentieren eigen ist, r?chten sie sich durch ihre Neckereien an meiner Besonderheit. Einig waren wir drei eigentlich nur, wenn es galt, unseren franz?sischen Bonnen einen Schabernack zu spielen. Wir konnten sie alle nicht leiden und empfanden sie nur als notwendiges ��bel, unter dem
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