Memoiren einer Sozialistin | Page 5

Lily Braun
Auf die Nachricht seiner Erkrankung siedelte Ilse, die ihrem Vater besonders nahe stand, nach Pirgallen ��ber. Noch wochenlang sah sie dem wilden Kampf des starken Mannes gegen den All��berwinder zu, der ihn schlie?lich sanft in seine Arme nahm.
Ein Maiensonntag war es abermals, als der Gutsherr mit all dem Pomp, der die Sprossen eines der ?ltesten Geschlechter des Landes von jeher zu Grabe leitete, in die Gruft seiner Vorfahren gesenkt wurde. Vollz?hlig war wieder die Familie versammelt, vollz?hlig war auch das Offizierkorps des K?nigsberger K��rassierregiments zugegen, dem Walter, der ?lteste Sohn des Verstorbenen, angeh?rte, und seine Trompeter bliesen die Trauerchor?le. In langem Zuge folgten die Knechte und die Instleute dem Sarge, den der greise F?rster, des Toten Lebensgef?hrte, mit seinen J?gern trug. Ehrliche Trauer blickte aus den Z��gen aller der wettergebr?unten M?nner der Arbeit. Werner Golzow war ihnen ein guter Herr gewesen. Sie hatten nie seine Faust und nie seine Peitsche gesp��rt, wie ihre Kollegen ringsum auf den Nachbarg��tern, und sie f��rchteten sich vor dem Junker, seinem Erben. Sein junges h��bsches Gesicht war hart und hochm��tig, auf die unbeholfenen, teilnehmenden Worte der Diener seines Vaters antwortete er nur mit einem leichten Neigen des Kopfes, die Hand, die sie, der alten preu?ischen Sitte gem??, k��ssen wollten, zog er ungeduldig zur��ck. Als die Gutsleute nach der Beisetzung in der gro?en Halle des Herrenhauses von der Gro?mutter empfangen wurden, sp��rten sie doppelt ihre G��te, die nichts Herablassendes hatte, die den Untergebenen niemals den Abstand zwischen Herrn und Diener f��hlen lie?. Und einer nach dem andern richtete die angstvolle Frage an sie: Unsre Frau Baronin wird uns doch nicht verlassen? Sie sch��ttelte nur wehm��tig l?chelnd den Kopf dazu, und halb und halb beruhigt ging alles auseinander.
Sechs Wochen sp?ter wurde ich geboren. Es war ein gl��hhei?er Junisonntag; in voller Pracht bl��hten die Rosen, und in der alten dunkeln Gespensterallee, wo die ?b?se Frau von Pirgallen? n?chtlicherweile mit dem Kopf unter dem Arme umging, dufteten berauschend die Linden. Das Gel?ut der Glocken begleitete gerade die heimkehrenden Kirchg?nger, als ich zur Welt kam. Ich konnte das Leben nicht erwarten, denn den Weg hinein fand ich ohne Hilfe, -- die weise Frau kam erst, als die Gro?mutter mich schon in den Armen hielt und dem Vater beim Anblick seines Kindes gro?e Tr?nen der R��hrung ��ber die Wangen liefen.
In der alten Kirche, ��ber der Gruft der Golzows und unter ihren Speeren, wurde ich getauft. Die Gutskinder hatten den d��stern Raum in eine Laube von Jasmin verwandelt, -- darum hab ich wohl mein Lebtag keinen Blumenduft so geliebt wie den dieser wei?en Sterne. Selbst im geweihten Wasser des Taufsteins schwammen ihre Bl?tter, und als der greise Pfarrer es mir auf die Stirn tr?ufelte, blieb eins davon auf meinem dunkeln K?pfchen haften. ?Und wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und h?tte der Liebe nicht, ich w?re ein t?nend Erz und eine klingende Schelle? -- lautete der Text der Taufpredigt und Alix der Name, der mir gegeben wurde. Beides hatte die Gro?mutter gew?hlt; den Namen hatte sie gegen den Widerstand der Tochter f��r ihr erstes Enkelkind durchgesetzt, -- den Namen ihrer Mutter, die sie um so inniger geliebt, je mehr die Welt sie verdammt hatte.
Ich blieb in Pirgallen. Vergebens hatte man versucht, mich an die Brust meiner Mutter zu legen. War es ihre innere Abneigung, die sie nur im Gef��hl, eine Pflicht erf��llen zu m��ssen, ��berwinden wollte, war es mein fr��h erwachter Eigensinn, -- kurz, Mutter und Kind schienen nichts von einander wissen zu wollen, und eine derbe Fischerfrau, die mich mit ihrem S?hnchen zusammen n?hrte, wurde meine Amme. Beh��tet von ihr und der Gro?mutter, der das schwarzhaarige, dunkel?ugige Baby so ?hnlich sah, verbrachte ich auch den Winter bei ihr; seufzend hatte es mein Vater zugegeben, da er sah, da? ich hier besser aufgehoben war als in K?nigsberg, wo die Freuden der Gef?lligkeit meiner Mutter ganze Zeit in Anspruch nahmen. Oft aber packte ihn die Sehnsucht so sehr, da? er Sturm und Wetter nicht scheute und, wie einst zu der Geliebten, zu der Braut, nun zu dem T?chterlein hinausritt, um es zu k��ssen, und in den Armen zu schaukeln. Die Gro?mutter hat immer dabei weinen m��ssen, erz?hlte mir die Amme sp?ter. Lange wu?te ich nicht, warum.
Dann kam der Krieg, der b?se deutsche Bruderkrieg. Mein Vater wurde Kompagnief��hrer in einem jener Regimenter, die durch die m?rderischen K?mpfe in B?hmen fast v?llig aufgerieben wurden. In den W?ldern um K?niggr?tz warf ihn eine Kugel zu Boden. W?ren nicht ein paar seiner treuen Grenadiere, die ihn wie einen Vater liebten, der eignen Ersch?pfung nicht achtend, noch sp?t des Nachts ausgezogen, um, wie sie meinten, die Leiche ihres Hauptmanns zu suchen, er w?re elend verblutet. Puckchens, unseres Affenpinschers, kl?gliches Winseln f��hrte sie auf die Spur des Verwundeten. Sobald er transportf?hig war, brachte man ihn nach K?nigsberg. Die Mutter, sonst eine so starke Frau, brach zusammen beim Anblick
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