Memoiren einer Sozialistin | Page 7

Lily Braun
wir gemeinsam zu leiden hatten.
An jedem sch?nen Morgen f��hrten sie uns in den Park von Sanssouci; kein Wort Deutsch durften wir sprechen, und artig mu?ten wir nebeneinander gehen. Wenn die drei Fr?uleins aber erst h?kelnd auf einer der B?nke sa?en und die Lebhaftigkeit ihres Gespr?chs einen gewissen H?hepunkt erreicht hatte, benutzten wir schleunigst die Gelegenheit, aus ihrem Gesichtskreis zu verschwinden, und dann war ich die Anf��hrerin. Wo die B��sche am dichtesten waren, versteckten wir uns und spielten im gr��nen D?mmerlicht phantastische M?rchen. Meine bl��hende Phantasie steckte die beiden andern an: unter halbverwitterten steinernen G?ttern gruben sie eifrig nach den Sch?tzen, von denen ich ganz genau zu erz?hlen wu?te, oder sie umschlichen geduldig immer wieder des alten Fritzen Schlo? oben auf den Blumenterrassen, die Ritter und die Feen mit Herzklopfen erwartend, die ich schon ?soo? oft gesehen hatte. Wenn freilich durchaus nichts von dem Erwarteten sich zeigen wollte, mu?te ichs bitter b��?en, und wenn wir unsrer schmutzigen H?nde und zerdr��ckten Kleider wegen von unsern drei Gestrengen gescholten wurden, war allemal ich die Hauptschuldige. Allm?hlich gew?hnte sich mein sehr robuster und prosaischer kleiner Vetter daran, den lebhaften Ausbr��chen meiner Einbildungskraft mit einem ver?chtlichen ?zu dumm? zu begegnen, was mich bis zu Tr?nen kr?nkte und mehr und mehr verstummen lie?. Spielte ich dann artig mit Ball und Reifen, ohne in die B��sche zu kriechen, dann lobte mich Mademoiselle: ?Comme elle devient raisonable!? sagte sie.
Noch stand ich nicht fest auf dieser Staffel der guten Erziehung, als mir ein schwerer Kummer widerfuhr. In unserm Garten, in dem wir nachmittags zu spielen pflegten, lagen auf den Wegen viele bunte Kieselsteine. In einem Winkel, unter einem Jasminstrauch -- zu den wei?en Bl��ten trug ich immer meine tiefsten Geheimnisse -- sammelte ich die sch?nsten, die ich finden konnte. Ich war fest ��berzeugt, da? sie in ihrem Innern goldne Wagen mit wei?en Pferdchen davor, blitzende K?nigskronen und schimmernde Schl?sser bargen, und versuchte, sie mit einem Hammer aufzuschlagen. Schlie?lich kamen Werner und Adda hinter mein Geheimnis; mein Vetter, den meine gl��hende Begeisterung f��r die zu erwartenden Herrlichkeiten anstecken mochte, bem��hte sich auch seinerseits, die Kiesel zu ?ffnen, und es gelang. ?Bist du dumm,? rief er ?rgerlich, als er die grauen Splitter in der Hand hielt, ?es sind ja nur ganz gew?hnliche Steine!?
Noch oft hab ich sp?ter hinter dem Leblosen wundervolle Offenbarungen vermutet und im Schwei?e meines Angesichts versucht, zu ihnen vorzudringen, aber die Entt?uschung hat mich kaum je so heftig geschmerzt und bis zu so wilder Verzweiflung getrieben, wie damals, wo ich, ein f��nfj?hriges Kind, weinend vor den zerschlagenen Kieseln sa?.
Wenn die andern mich verh?hnten, wenn der Schmerz mich ��bermannte und sie nicht verstanden, warum, dann blieb mir ein Zufluchtsort und ein Mensch, der immer die rechten Worte des Trostes fand: Gro?mama. Wie oft fl��chtete ich in ihr stilles Reich, wo sie zwischen bl��henden Blumen und dunkeln Palmen lesend, schreibend oder still vor sich hintr?umend in ihrem tiefen, gr��nen Lehnstuhl sa?. Sie hatte immer Zeit f��r mich, sie lachte mich niemals aus und antwortete nie auf meine tausend Fragen mit jenem ein weiches Kindergem��t so verletzenden: ?Das verstehst du nicht.? Und wenn sich mir Park und Garten, Wasser und Wald mit tausend Gestalten bev?lkerten, wenn die allabendlich in buntem Reigen um mein Bettchen tanzten, so wu?te ich: Gro?mama sah sie, wie ich; nur die andern hatten keine Augen daf��r. War ich allein bei ihr, so erschienen mir ihre Zimmer wie ein einzig M?rchenreich: Zwischen den Palmen l?chelte der sch?ne wei?e J��nglingskopf ihres Vaters mir entgegen -- halb ein C?sar, halb ein Antinous --; von den W?nden sahen M?nner und Frauen mich an, mir vertraut seit meinem ersten Augenaufschlag, wenn auch fremd nach Art und Gewandung, und unter einem von ihnen, auf kleinem Postament, stand Winter und Sommer ein frischer Blumenstrau?. Das war der Dichter, zu dessen F��?en die Gro?mutter gesessen hatte, als sie ein Kind, ein junges M?dchen gewesen war, der die Geschichte vom Heider?slein gedichtet hatte, die erste, die ich wiedererz?hlen konnte, und bei deren Schlu? mir immer die Stimme brach: ... ?Doch es half kein Weh und Ach, mu?t es eben leiden!?
Auf dem Fu?b?nkchen neben Gro?mama, den Kopf vergraben in den weichen Falten ihres Sammetkleids, die Augen auf die tanzenden und zuckenden Flammen des Kaminfeuers gerichtet, w?hrend ihre leise Stimme ��ber mir klang, von Schneewittchen und Dornr?schen erz?hlend oder von der kleinen Seejungfrau, die dem Prinzen zuliebe unter tausend Schmerzen zum Menschen wurde und dann doch wieder hinabsteigen mu?te in die Fluten, -- das waren die sch?nsten Stunden meiner fr��hen Kinderjahre. Und das alles waren Erlebnisse f��r mich, viel bedeutungsvollere, als die Ereignisse des ?ffentlichen Lebens, deren Kunde an mein Ohr schlug. So wei? ich vom deutsch-franz?sischen Kriege, obwohl ich ihn als fast Sechsj?hrige erlebte, nicht allzuviel. Ich sehe mich zwar Charpie zupfend am Fenster sitzen oder mein Fr��hst��cksbr?tchen mitleidig f��r die armen Soldaten in die Kiste legen,
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