Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet | Page 8

Gerhard Rohlfs
woher ich komme, nach Vaterland, wes Standes, wohin
ich wolle, ob ich verheirathet, etc. etc. Der mich begleitende Jude
explicirte Alles. Darauf hielt der Kaid, ich muss ihm diese
Gerechtigkeit widerfahren lassen, eine eindringliche Rede, nicht ins
Innere zu gehen; als ehemaliger Christ wäre ich Alles besser gewohnt,
denn Alles sei schlecht in Marokko; er erbot sich sogar, mir ein Pferd

zur Rückreise nach Tanger zu stellen und mich durch einen Maghaseni
begleiten zu lassen.
Als er sah, dass ich darauf bestand, nach Fes gehen zu wollen, glaubte
ich zu verstehen, wie er zu dem Juden sagte: "er hat gewiss gemordet
oder sonst etwas verbrochen, und darf zu den Christen nicht
zurückkehren." Nach Beendigung des Verhörs war ich unvertraut
genug mit den Sitten des Landes, nach dem "Funduk el Sultan" zu
verlangen; denn der Kaid hatte es natürlich als selbstverständlich
betrachtet, dass ich bei ihm wohne. Aber auch so noch erstreckte sich
seine Freundlichkeit weiter, er befahl einem Maghaseni und dem Juden,
mich nach dem genannten Funduk zu begleiten: ich solle dort auf seine
Kosten wohnen, Nahrungsmittel wolle er schicken. Natürlich wird er
dem Miethsmann des Funduks als Entschädigung nichts gegeben haben,
was er überdies auch kaum nöthig hatte, da der Name "Funduk el
Sultan", d.h. "Gasthof zum Kaiser" nicht etwa in unserem Sinne zu
verstehen ist, sondern so viel bedeutet, als Eigenthum des Sultans oder
der Regierung. In der Regel gehören die Funduks in Marokko entweder
der Regierung oder irgend einer Djemma (Moschee) an und werden
verpachtet.
Die Stadt L'xor (so gesprochen ist es der marokkanischen Aussprache
am nächsten, geschrieben wird aber Alkassar) liegt ungefähr 10
Minuten vom rechten Ufer des Ued-Kus entfernt, nach Ali Bey auf 35°
1' 10" N. B. und 8° 9' 45" W. L. v. P. in einer freundlichen
Alluvialebene. Die Stadt soll nach Leo von Almansor[8] gegründet sein;
da aber Edris derselben unter dem Namen Kasr-Abd-el-Kerim erwähnt,
so hat wohl Sultan Almansor, wie Renou richtig bemerkt, nur zur
Vergrösserung der Stadt beigetragen. Die Bevölkerung ist sehr
schwankend, Hemsö nimmt nur 5000 Einwohner an, Washington 8000,
bei meiner zweiten Reise in Marokko taxirte ich die Stadt auf 30,000
Seelen, mich stützend auf die Anzahl der bewohnten Häuser, die mir zu
2600 angegeben wurden. Früher muss die Stadt noch bedeutender
gewesen sein, wie man aus den vielen Ruinen und leeren Djemmen
schliessen kann. Eigenthümlich für Marokko ist, dass die meisten
Häuser nicht flach sind, sondern spitze, mit Ziegeln gedeckte Dächer
haben. Wie wenig Abänderungen in den Gebräuchen beim Volke in
Marokko vor sich gehen, ersieht man daraus, dass der von Leo als am
Montage ausserhalb der Stadt abgehaltene Markt auch noch jetzt am

Montage abgehalten wird. Sehr auffallend für alle Besucher der Stadt
ist die ungeheure Anzahl von Storchnestern mit ihren Besitzern, wenn
die Jahreszeit sie herbeizieht, nicht nur die Häuser sind voll davon,
sogar auf den Bäumen erblickt man sie. Aeusserst günstig als
Zwischenstapelplatz der Häfen L'Araisch, Arseila und Tanger einerseits,
der Binnenstädte Fes und Uesan andererseits, hat bei besserer
Entwickelung des Handels L'xor eine Zukunft vor sich.
[Fußnote 8: Maltzan meint, dass hier die Stadt Bauasa der Alten
gelegen sei, welche Stadt freilich, als am Sebu gelegen angegeben wird,
sonst stimmen die Entfernungen.]
Ausserdem ist die Gegend eine der reichsten von Marokko, was man an
Gemüsen nur bauen will, gedeiht um L'xor. Freilich liegt der
Gemüsebau in Marokko noch arg danieder. Obschon der Marokkaner
Gelegenheit hat, in den von Christen cultivirten Gärten der Hafenstädte
alle Gemüse kennen zu lernen, kann doch von einer eigentlichen
Gartencultur der Marokkaner selbst kaum die Rede sein. Wie gut würde
aber Alles hier gedeihen; versorgt doch das nahe Algerien unter nicht
ganz so günstigen klimatischen Verhältnissen, wegen geringerer
Feuchtigkeit des Bodens und der Luft, im Winter fast ganz Europa mit
frischen Gemüsen der feinsten Art. Die uns unentbehrliche Kartoffel
hat den Weg in das Innere des Landes noch nicht finden können. Mit
Ausnahme der Gärten des Sultans in Fes, Mikenes, Maraksch etc. kennt
man nirgends Spargel, Artischocken, Blumenkohl und andere feine
Gemüse. Und selbst dort werden sie keineswegs des Nutzens halber
gezogen; irgend ein Consul brachte sie vielleicht zum Geschenk, man
zieht sie nun als Blumen und wundert sich, dass die Christen solches
Zeug essen.
Das Gemüse, was in Marokko gebaut wird, ist bald aufgezählt. Rothe
und gelbe Rüben, Steckrüben, grosse Bohnen, Rankbohnen, Erbsen,
Linsen, Zwiebeln, Knoblauch, Kohl findet man fast überall, Sellerie
und Petersilie ebenfalls. Was aber gerade bei L'xor besonders gut
gedeiht, sind die Melonen, sowohl die gewöhnlichen wie die
Wassermelonen. Man sagt, dass die um L'xor wachsenden Trauben
schlecht seien wegen des zu feuchten Bodens.
Gegenstand der grössten Neugier, blieb ich durch starken Regen
gezwungen vier Tage in der Stadt und lernte immer mehr mich an die
eigenthümlichen Sitten gewöhnen, "Christ, laufe doch nicht immer auf

und ab," rief mir ein alter Kaffeetrinker eines Abends zu, als er sah,
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