Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet | Page 9

Gerhard Rohlfs
wie
ich im Hofe in Gedanken auf und ab ging. Ich setzte mich und fragte,
ob das denn ein Verbrechen sei. "Das nicht," antwortete mir ein
Anderer, "aber ohne Zweck auf- und abgehen thun nur die Thiere und
ist hier nicht anständig[9]." "Gott verfluche Deinen Vater," sagte ein
Anderer zu mir, "wenn er Dir auch gute Lehren giebt, hat er doch kein
Recht, Dich Christ zu nennen; Gott sei Dank, Du glaubst jetzt an einen
einigen Gott und an dessen Liebling, Gott vertilge alle Christen und
lasse sie ewig brennen!"--"Aber, o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht
den ungläubigen Hund, wie er die Hände gefaltet hat (ich hatte mich
auf türkisch niedergesetzt und in Gedanken die Hände gefaltet), gewiss
betet er seine sündhaften Gebete!" Ich entfaltete rasch meine Hände,
und ein Anderer ermahnte mich nun, nie wieder in der Gesellschaft von
Gläubigen solche gottvergessenen Handlungen vorzunehmen.
[Fußnote 9: Ich übersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente so,
eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]
So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt wie ein
kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch dadurch
rasch die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am
peinlichsten war mir immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am
Boden hockend aus einer Schüssel gegessen wird, und Jeder mit halb
oder gar nicht gewaschener Hand ins Essen fährt, haben alle
Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit, zwischen und
gleich nach dem Essen laut aufzustossen. "Veizeih's [Verzeih's] Gott,"
ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit seiner unsauberen
Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei gelobt" der
Anwesenden giebt die Billigung derselben zu erkennen.
Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in Begleitung eines
Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise nach Uesan fort.
Durch die strotzenden Gärten hatten wir bald den Ued Kus erreicht,
setzten über und gingen auf die Berge los; obschon man den Weg recht
gut in Einem Tage machen kann, nächtigten wir doch abermals, da der
anhaltende Regen die Wege in dem Lehmboden fast grundlos gemacht
hatte. Die Gegend wurde uns als gefährlich geschildert, doch schützte
uns der Umstand, dass wir Uesan als Reiseziel hatten. Der Ruf des
dortigen Grossscherif ist in der That so gross, dass Alle, die zu ihm
pilgern, unter einem allgemein anerkannten Schutz stehen.

Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder Hügel, jeder
Berggipfel, wie in der Romagna mit einem Dorf oder Städtchen,
machte einen grossen Eindruck auf mich. Mit grosser Freigebigkeit
wurden wir Mittags in einem Orte, Kaschuka genannt, bewirthet,
angestaunt von der ganzen Bevölkerung, welche wohl noch nie einen
Deutschen gesehen hatte. In einem dem Grossscherif gehörenden Dorfe
aus Zelten wurde übernachtet, und am anderen Morgen gegen 9 Uhr
erreichten wir die heilige Pilgerstadt, das Mekka der Marokkaner.
Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf
Bodengestalt, Klima und Bevölkerung des ganzen Reiches einen Blick.
* * * * *

2. Bodengestalt und Klima
* * * * *
Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich
Marokko, Rharb el djoani[10] im Lande selbst genannt, ist von allen an
das Mittelmeer grenzenden Ländern Nordafrika's eins der am
günstigsten gelegenen. Es würde zu nichts führen, wollten wir
versuchen, die Grösse des Landes in Zahlen anzugeben; selbst eine
allgemeine Bezeichnung, dass Marokko zwischen den so und so vielten
Längen- und Breitengraden liege, giebt nur annähernd einen Begriff
und wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat
und Tidikelt, die fast bis zum 26° N. B. nach dem Süden und bis zum
22° O. L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht. Halten wir diese
letzte Ausdehnung fest und rechnen die grossen Strecken wüsten
Terrains, welche zwischen den Oasen und dem atlantischen Ocean
liegen, hinzu, so können wir uns den besten Begriff von der Grösse
Marokko's machen, wenn wir dann aus der Karte ersehen, dass es um
ein Drittel grösser ist, als Frankreich,[11] ohne diese Gebiete aber
ungefähr mit Deutschland eine gleiche Grösse hat.
[Fußnote 10: Der Name Maghreb el aksa ist im Lande selbst nicht
bekannt und gebräuchlich, wohl aber sagt man Rharb schlechtweg, oder
Bled-es-Sidi-Mohammed, oder bled Fes nach der Hauptstadt. Das Wort
djoani bedeutet nach Wetzstein das "innere" und "eigentliche", also der
innere und eigentliche Westen.]
[Fußnote 11: Klöden und Behm 12,210 Quadrat-Meilen. Renou 5775
Myriam.-Q.-M. Beaumier 5000 M.-Q.-M. Daniel ca. 13,000 Q.-M. A.

Rey und Xavier Durrieu 24,379 Lieues car. Gråberg de Hemsö 219,400
Q.-M. italiane. Jardine 50,000 (englische) Q.-M. Donndorf 7425 Q.-M.
J. Duval 57,000,000 Hectars und in Berlings Staatszeitung von 1778
giebt Tempelmann 6287 Q.-M. für Fes, Tafilet und Marokko an.]
Wenige Länder von Afrika haben im Verhältniss zum Binnenlande eine
so grosse Küstenentwickelung. Die Gestadelänge Marokko's am
atlantischen Ocean beträgt 1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60,
die am Mittelmeere 425 Kilometer, während die Landgrenze nur eine
Länge von 250
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 125
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.