Strafe. Wir Kinder waren empoert. Unsere Froesche umbringen! Ja, wenn der Herr Stadtrichter Layritz einer gewesen waere, dann herzlich, herzlich gern! Wir hielten Rat und was wir beschlossen, wurde ausgefuehrt. Der Tuempel wurde so weit ausgeschoepft, dass wir die Froesche fassen konnten. Sie wurden in den grossen Deckelkorb getan und dann hinaus hinter das Schiesshaus nach dem grossen Zechenteich getragen, Grossmutter voran, wir hinterher. Dort wurde jeder einzeln herausgenommen, geliebkost, gestreichelt und in das Wasser gelassen. Wieviel Seufzer dabei laut geworden, wieviel Traenen dabei geflossen und wieviel vernichtende Urteile dabei gegen den sogenannten Bezirksarzt gefaellt worden sind, das ist jetzt, nach ueber sechzig Jahren, wohl kaum mehr festzustellen. Doch weiss ich noch ganz bestimmt, dass Grossmutter, um dem ungeheuern Schmerz ein Ende zu machen, uns die Versicherung gab, ein jedes von uns werde genau nach zehn Jahren ein dreimal groesseres Haus mit einem fuenfmal groesseren Garten erben, in dem es einen zehnmal groesseren Teich mit zwanzigmal groesseren Froeschen gebe. Das brachte in unserer Stimmung eine ebenso ploetzliche wie angenehme Aenderung hervor. Wir wanderten mit der Grossmutter und dem leeren Deckelkorb vergnuegt nach Hause.
Das geschah in der Zeit, als ich nicht mehr blind war und schon laufen konnte. Ich war weder blind geboren noch mit irgendeinem vererbten koerperlichen Fehler behaftet. Vater und Mutter waren durchaus kraeftige, gesunde Naturen. Sie sind bis zu ihrem Tode niemals krank gewesen. Mich atavistischer Schwachheiten zu zeihen, ist eine Boeswilligkeit, die ich mir unbedingt verbitten muss. Dass ich kurz nach der Geburt sehr schwer erkrankte, das Augenlicht verlor und volle vier Jahre siechte, war nicht eine Folge der Vererbung, sondern der rein oertlichen Verhaeltnisse, der Armut, des Unverstandes und der verderblichen Medikasterei, der ich zum Opfer fiel. Sobald ich in die Hand eines tuechtigen Arztes kam, kehrte mir das Augenlicht wieder, und ich wurde ein hoechst kraeftiger und widerstandsfaehiger Junge, der stark genug war, es mit jedem andern aufzunehmen. Doch ehe ich ueber mich selbst berichte, habe ich noch fuer einige Zeit bei dem Milieu zu bleiben, in dem ich meine erste Kindheit verlebte.
Mutter hatte mit dem Hause auch die auf ihm stehenden Schulden geerbt. Die waren zu verzinsen. Hieraus ergab sich, dass wir eben nur mietfrei wohnten, und auch das nicht einmal ganz. Mutter war sparsam, Vater in seiner Weise auch. Aber wie er in allem masslos war, in seiner Liebe, seinem Zorne, seinem Fleisse, seinem Lobe, seinem Tadel, so auch hier in der Beurteilung der kleinen Erbschaft, die nur ein Ansporn sein konnte, weiter zu sparen und das Haeuschen von Schulden frei zu machen. Aber wenn er auch nicht geradezu glaubte, ploetzlich reich geworden zu sein, so nahm er doch an, jetzt zu einer andern Lebensfuehrung uebergehen zu duerfen. Er verzichtete darauf, sich sein ganzes Leben lang hinter dem Webstuhl abzurackern. Er hatte ja nun ein Haus, und er hatte Geld, viel Geld. Er konnte zu etwas anderem, besserem greifen, was bequemer war und mehr lohnte als die Weberei. Waehrend er, nicht schlafen koennend, im Bette lag und darueber nachdachte, was zu ergreifen sei, hoerte er die Ratten ueber sich im leeren Taubenschlag rumoren. Dieses Rumoren wiederholte sich von Tag zu Tag, und so entstand, in der jedem Psychologen wohlbekannten Weise in ihm der Entschluss, die Ratten zu vertreiben und Tauben anzuschaffen. Er wollte Taubenhaendler werden, obgleich er von diesem Fache nicht das geringste verstand. Er hatte gehoert, dass da sehr viel Geld zu verdienen sei, und war der Meinung, dass er auch ohne die noetigen Sonderkenntnisse genug Intelligenz besitze, jeden Haendler zu ueberlisten. Die Ratten wurden vertrieben und Tauben angeschafft.
Leider war diese Anschaffung nicht ohne Geldkosten zu bewerkstelligen. Mutter musste einen ihrer Beutel opfern, vielleicht gar zwei. Sie tat es nur mit Widerstreben. Sie fand an den Tauben nicht dasselbe Wohlgefallen, welches wir Kinder an ihnen fanden. Am meisten Vergnuegen machte es uns, wenn wir beobachteten, wie die lieben Tierchen ihre zarten Kleider veraenderten. Vater hatte zwei Paar sehr teure "Blaustriche" gekauft. Er brachte sie heim und zeigte sie uns. Er hoffte, wenigstens drei Taler an ihnen zu verdienen. Einige Tage spaeter lagen die blauen Federn am Boden: sie waren nicht echt, sondern nur angeklebt gewesen. Die kostbaren "Blaustriche" entpuppten sich als ganz wertlose Feldweisslinge. Vater erwarb einen sehr schoenen, jungen, grauen Trommeltaeuberich fuer einen Taler fuenfzehn gute Groschen. Nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass der Taeuberich altersblind war. Er ging nicht aus dem Schlage; sein Wert war gleich Null. Solche und aehnliche Faelle mehrten sich. Die Folge davon war, dass Mutter noch einen dritten Beutel opfern musste, um den Taubenhandel in besseren Schwung zu bringen. Freilich gab sich auch Vater grosse Muehe. Er feierte nicht. Er besuchte alle Markte, alle Gasthoefe und Schankwirtschaften, um zu kaufen oder Kaeufer zu finden. Bald kaufte er Erbsen; bald kaufte er Wicken, die er "halb geschenkt" erhalten hatte. Er war immer unterwegs, von einem Dorf
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