Mary, Erzaehlung | Page 7

Bjornstjerne Bjornson
werden, und von ihr. Er teilte die Blumen in
zwei Teile; die eine Haelfte trug er, die andere sie. Er wuenschte, sie
solle ihre hinlegen und seine wieder mit nach Hause nehmen. Aber es
gelang nicht. Ja, schlimmer als das; denn als sie den Kirchhof
verliessen, bestand sie darauf, er sollte seine Blumen auch wieder mit
nach Hause nehmen. Und er musste nachgeben. Am naechsten Tage
versuchte er etwas anderes. Sie trug ihre Blumen zu der Mutter Grab, er
aber gab ihr Zuckerwerk, damit sie die Blumen liegen lassen sollte.
Wirklich, sie gab die Blumen gegen das Zuckerwerk ab, das sie in den
Mund steckte. Aber als sie gingen, wollte sie die Blumen auch noch
haben. Das verstimmte ihn.
Dann kam er auf den Einfall, die Mutter froere, Marit muesse sie
zudecken. Da meinte sie, Mutter solle doch heraufkommen, in ihr
eigenes Bett. Er hatte ihr naemlich gesagt, das leere Bett neben seinem
sei Mutters, und sie fragte bestaendig, ob Mutter nicht bald komme. Sie
koenne nicht kommen, sagte er; sie liege da draussen und froere. Das
fuehrte schliesslich zum Ziel. Sie breitete selbst die Blumen ueber die
Grabstaette und liess sie liegen. Auf dem Heimweg wiederholte sie
mehrmals: "Jetzt friert Mutter nicht mehr."
Er ueberlegte, was sie unter Mutter verstehen mochte. Er wuenschte,
sie solle die Bilder ihrer Mutter kennen, uebte aber vorher ihren Sinn an

Bildern von Tieren und Gegenstaenden. Dann ging er zu Bildern von
seiner Schwester und von sich selbst und von Personen ueber, die sie
kannte. Als sie damit ziemlich vertraut war, kam das erste Bild der
Mutter an die Reihe. Es machte keine Schwierigkeiten; sie durfte noch
mehrere sehen und lernte sie schnell von anderen unterscheiden. Nach
Tisch, als sie schlafen ging, wollte sie Mutter im Arm haben. Er
verstand sie erst nicht, und sie wurde ungeduldig. Da brachte er ihr das
erste Bild der Mutter; sie nahm es gleich in den Arm, deckte es zu und
schlief ein. Aber erst als sie mit vier Jahren einmal in der Kueche eine
Mutter sich um ihr krankes Kind muehen sah, ueberzeugte er sich, dass
sie wusste, was eine Mutter sei; denn sie sagte: "Warum kommt meine
Mutter nicht und zieht mich an und aus?"
Mit der Zeit wurden Vater und Tochter sehr gute Freunde. Noch mehr
Freude aber machte es ihm, als sie gross genug war, dass er ihr von
Mutter erzaehlen konnte. Von Mutter, die uebers Meer herueber zu
Vater gekommen sei und Maritchen mitgebracht habe. Wo Vater und
Mutter zusammengegangen waren, gingen sie nun beide; jeden
Spazierweg. Er ruderte sie, wie Mutter ihn gerudert hatte; sie fuhren
zusammen zur Stadt, wie sie beide getan hatten. Dort sass Marit auf
den Stuehlen, die Mutter gekauft, und auf denen sie gesessen hatte. Bei
Tisch hatte sie Mutters Platz, bei den Blumen im Treibhaus und im
Garten war sie die Mutter, und sie half, wie Mutter es getan hatte. Ein
gar kluges, schoenes Kind! Mit dem roten Haar und der schimmernd
weissen Haut der Mutter, mit ihren grossen Augen und denselben fein
geschwungenen Brauen. Vermutlich wuerde sie auch ihre gebogene
Nase bekommen. Die Haende mit den langen Fingern hatte sie nicht
von der Mutter, auch die Gestalt nicht. Der Uebergang vom Kopf zum
Nacken mit der sanften Neigung stammte eher vom Vater. Die
Schultern hatten nicht die schoene geschwungene Linie wie der Mutter
Schultern, sondern waren mehr abfallend, und die Arme flossen sanfter
daraus hervor. Es trieb ihn jeden Abend nach oben, zuzusehen, wenn
sie ausgezogen wurde. Die Verschmelzung des maennlichen und des
weiblichen Typus der Krogs, die bisher so selten gewesen, die aber
schon teilweise von der Mutter repraesentiert worden war, gab es hier
in der Vollendung. Marit schoss hoch auf, ihre Augen waren gross und
der Kopf fein geformt.
Er konnte sie nicht dazu bewegen, mit Kindern umzugehen; das

langweilte sie. Sie gingen nicht schnell genug auf ihre Ideen ein, die
freilich recht eigentuemlich waren. Die Felder hier waren doch ein
Zirkus; der Vater hatte ihr von Buffalo Bill erzaehlt. Indianer sprengten
durch die Arena, sie selbst an der Spitze auf einem weissen Pferde. Die
Huegel waren die Logen, die voll Menschen waren. Das konnten die
anderen Kinder nicht sehen. Auch das Reisenspielen auf dem Tisch,
das ihr Vater sie gelehrt hatte, verstanden sie nicht.
Als Siebenjaehrige noetigte sie ihren Vater, ihr ein Rad zu kaufen und
sie fahren zu lehren; er selbst fuhr ausgezeichnet. Das war aber doch
der Tropfen, der den Becher zum Ueberlaufen brachte und ihn
bestimmte, sich nach Unterstuetzung umzusehen.
Er hatte in Paris eine entfernte Verwandte kennen gelernt, eine Frau
Dawes; sie war in England verheiratet gewesen; als aber ihr einziges
Kind starb, hatte sie sich scheiden lassen und lebte in Paris als
Pensionsinhaberin. In dieser Pension hatte er sie taeglich bewundert. Er
war kaum je einem kluegeren Menschen begegnet. Er
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