Mary, Erzaehlung | Page 6

Bjornstjerne Bjornson
Schaden nehmen
koenne. Seiner bescheidenen Natur schien das Glueck unverdient.
Sie schmiegte sich auch immer enger an ihn. Sie hatte eine Formel
gefunden, die sie haeufig wiederholte: "Du bist mein Vater--und
mehr!" Und eine andere: "Du hast die herrlichsten Augen von der Welt,
und die gehoeren mir." Mit der Zeit gab sie manches von dem auf,
womit sie sich beschaeftigte; statt dessen wollte sie ihm vorlesen. Von
klein auf hatte sie ihrem Vater vorgelesen; das sollte wieder
aufgenommen werden. Sie las ihm englisch-amerikanische Buecher vor,
besonders Verse. Sie hatte die klangvolle Vortragsweise, in der
englische Verse gesprochen werden muessen, und machte sie wahr
durch ihre eigene glaubwuerdige Art. Sie hatte eine weiche Stimme, die
die Worte behutsam und still wie aus der Erinnerung heraus anfasste.
Als die Zeit fortschritt, mussten sie beide taeglich zusammen ins
Treibhaus. Die Blumen darin waren ihr Vorboten dessen, was in ihr
wuchs; sie wollte jeden Tag nach ihnen sehen. "Ob sie wohl darueber
reden?"
Und dann eines Tages, als das erste Anzeichen da war, dass der Winter
hier von der Kueste weichen wollte, und sie gemeinsam oben am
sonnigen Hang das erste Gruen gepflueckt hatten, da merkte sie, dass
sie schwach wurde; jetzt kam ihre grosse Stunde. Ohne sonderliche
Schmerzen vorher, ihre Hand in seiner, gebar sie eine Tochter. Die
gerade hatte sie sich gewuenscht. Aber es war ihr nicht bestimmt, das
Kind aufzuziehen; denn drei Tage spaeter war sie tot.
* * * * *

Die neue Marit
Der Arzt befuerchtete lange, Krog wuerde auch sterben. Rein an
Ueberanstrengung. In seiner langen Einsamkeit war er nicht daran
gewoehnt gewesen, sich so hinzugeben oder so unendlich viel zu
empfangen, wie ihm das Zusammenleben mit ihr gebracht hatte. Erst
ihr Tod offenbarte, wie schwach er geworden war, wie wenig
Widerstandskraft er noch hatte. Der schwache Rest brauchte Monate,
um sich so weit zu erholen, dass er die Naehe anderer Menschen ertrug.
Man erzaehlte ihm, das Kind sei zu seiner Schwester gebracht. Sie
fragten ihn, ob er es sehen moechte. Fast unwillig wandte er sich ab.
Das erste, was er ernstlich erwog, als er sich kraeftiger fuehlte, war,
sich von dem Geschaeft zu befreien. Er beriet sich darueber mit "Onkel
Klaus", einem Verwandten, einem wunderlichen alten Junggesellen,
der allgemein so genannt wurde. Durch seine Vermittlung wurde das
Geschaeft veraeussert. Nicht aber das Haus, in dem es sich befand,--das
sollte in allen Teilen zur Erinnerung an sie unveraendert bleiben.
Anders Krogs erster Gang war zur Kapelle und zum Grabe, und das
griff ihn so an, dass er wieder krank wurde. Sobald er sich erholt hatte,
gab er seine Absicht kund, auf Reisen zu gehen und fortzubleiben.
Seine Schwester kam erschrocken zu ihm herueber; das sei doch wohl
nicht wahr? "Du willst uns und das Kind doch nicht verlassen?"--"Ja,
ich kann es in meinen eigenen Stuben nicht aushalten", antwortete er
und brach in Traenen aus.--Aber er muesse doch auf jeden Fall das
Kind erst sehen?--"Nein, nein! Das am allerwenigsten."
Er reiste ab, ohne es gesehen zu haben.
Aber natuerlicherweise war es das Kind, das ihn wieder nach Hause
zog. Als es drei Jahr alt war, wurde es photographiert,--und diese
Photographie ... solch einer Aehnlichkeit mit der Mutter, solchem
kindlichen Liebreiz konnte er nicht widerstehen. Von Konstantinopel
aus, wo er sich gerade aufhielt, schrieb er: "Jetzt habe ich bald drei
Jahre gebraucht, um das, was ich in einem erlebt habe, noch einmal zu
durchleben. Ich kann nicht sagen, dass ich es mir schon ganz zu eigen
gemacht habe. Namentlich wird viel Neues hinzukommen, wenn ich
die Staetten wiedersehe, wo wir zusammen waren. Aber soweit bin ich
durch das tiefere Hineinleben dieser Jahre doch gekommen, dass ich
diese Staetten nicht mehr scheue; im Gegenteil, ich sehne mich jetzt
nach ihnen."

Die Begegnung mit der neuen Marit wurde ein Fest fuer ihn. Nicht
sofort; denn zuerst hatte sie natuerlich Angst vor dem fremden Mann
mit den grossen Augen. Aber es erhoehte seine Freude, wie sie
vorsichtig, nach und nach ihm naeher kam. Als sie schliesslich auf
seinen Knien sass mit den beiden neuen Puppen, einem Tuerken und
einer Tuerkin, und ihm diese in die Nase steckte, damit er niesen sollte,
weil die Tante das auch getan hatte, da sagte er mit Traenen in den
Augen: "Ich habe nur eine Begegnung erlebt, die noch herrlicher war."
Sie siedelte also mit dem Kindermaedchen in sein Haus ueber. Ihr
erster gemeinschaftlicher Gang war zum Grabe der Mutter, auf das sie
Blumen legen sollte. Das tat sie auch; aber sie wollte sie wiederhaben.
Nichts half, was sie auch versuchten. Das Maedchen pflueckte ihr
schliesslich andere; aber die wollte sie nicht; sie wollte ihre eignen. Sie
mussten ihr also die Blumen lassen und die neuen aufs Grab legen. Er
dachte: "Das ist nicht die Mutter."
Der Versuch wurde wiederholt. Jeden Tag sollte das Grab der Mutter
mit Blumen geschmueckt
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