Mary, Erzaehlung | Page 5

Bjornstjerne Bjornson
mit, aber diesmal wollte sie mit dem Wagen fahren. Und so
jeden Tag etwas Neues. Die beiden Geschwister lebten nur fuer sie. Sie
nahm es hin, als muesse es so sein.
Als sie drei Wochen so mit ihnen gelebt hatte, kam ein
Kabeltelegramm vom Bruder Hans mit der Nachricht, Onkel Anders sei
ploetzlich gestorben; Marit solle vorbereitet werden.
Dies war der schwerste Gang, den Anders Krog je gegangen
war,--ueber den Huegelruecken zur Schwester, mit diesem Telegramm
in der Tasche. Gerade als er das trauliche gelbe Haus, umgeben von
Wirtschaftshaeusern und Baeumen, drunten in der Ebene vor sich
liegen sah, hoerte er die Essensglocke vergnueglich in den heiteren,
sonnigen Tag hinaustoenen. Da wartete der gedeckte Tisch. Er setzte
sich hin; er hatte das Gefuehl, als koenne er nicht weiter. Er musste ja
hinunter und den frohen Tag morden.
Als er endlich auf den Hof gelangte, ging er zusammen mit einigen
Arbeitern, die von weither zum Mittagessen kamen, zur Hintertuer
hinein.
Hier traf er die Schwester, die ihn ins Hinterzimmer hineinnoetigte.
Ebenso wie er erschrak sie und wurde traurig; aber sie war eine
mutigere Natur und uebernahm es, Marit, die nicht zu Hause war, aber
jeden Augenblick kommen musste, die Mitteilung zu machen.
Vom Hinterzimmer aus hoerte Anders Krog dann nachher einen Ruf
und einen Aufschrei, den er nie wieder vergass. Er sprang bei diesem
Schmerzenslaut auf, konnte sich aber nicht ueberwinden, das Zimmer
zu verlassen; ein wehes Schluchzen von drinnen hielt ihn fest. Es
wurde staerker und staerker, unterbrochen von kurzen Ausrufen. Die
gleiche unmittelbare Kraft in ihrem Schmerz wie in ihrer Freude. Es
jagte ihn in der Stube umher, bis die Schwester die Tuer oeffnete: "Sie
moechte Dich sehen."

Da musste er hinein; mit Aufbietung all seiner Willenskraft zwang er
sich dazu. Sie lag auf dem Sofa; aber er liess sich kaum sehen, als sie
sich aufrichtete und die Arme ausstreckte: "Komm, komm! Jetzt bist
Du mein Vater."--Er eilte hin und beugte sich ueber sie; sie legte den
Arm um seinen Hals und drueckte ihn fest an sich; er musste hinknien.
"Du darfst mich nie mehr verlassen! Nie, nie!" "Nie!" entgegnete er
feierlich. Sie drueckte ihn fest an sich, ihre Brust wogte an seiner, ihr
Gesicht lag feucht und gluehend an seinem. "Du darfst mich nie
verlassen!"--"Nie!" wiederholte er aus tiefstem Herzen und schlang die
Arme um sie.
Sie legte sich wie getroestet wieder hin und hielt seine Hand; sie wurde
ruhiger. Wenn die Anfaelle kamen und er sich mit zaertlichen Worten
ueber sie beugte, wirkte es besaenftigend.
Er wagte nicht nach Hause zu gehen; er blieb die Nacht ueber da. Sie
konnte nicht schlafen, und er musste bei ihr sitzen bleiben.
Erst am naechsten Tage hatte sie sich klar gemacht, was nun geschehen
solle. Sie wollte hinreisen, und er sollte mit. Das kam ihm hoechst
unerwartet. Aber weder er noch seine Schwester wagten, ihr zu
widersprechen. Da gelang es der Schwester, sie auf andre Gedanken zu
bringen. Sie sagte: "Ihr solltet Euch erst verheiraten." Marit sah sie an
und sagte: "Ja, das ist richtig. Das sollten wir wahrhaftig tun!" Und nun
beschaeftigte sie das so stark, dass es sie von ihrem Schmerz ablenkte.
Anders war nicht gefragt worden; aber das war auch nicht noetig.
Dann kam der erste Brief von Hans. Er hatte alles mit dem Begraebnis
des Onkels geordnet und erzaehlte, in welcher Weise. Er erbot sich, das
Geschaeft und den Besitz des Onkels zu uebernehmen.
Anders hatte zu seinem Bruder unbegrenztes Vertrauen; er nahm das
Angebot an, und damit wurde die Reise ueberfluessig. Sobald Hans
einen Ueberblick ueber den ganzen Nachlass hatte, setzte er die
Kaufsumme fest und fragte bei dem Bruder an, ob er sich mit diesem
Betrage an Hansens Geschaeft beteiligen wolle. Der Betrag, der in
Bankguthaben und Aktien bestand, wurde sofort ausgezahlt. Schon
diese Summe war gross genug, um nicht allein Anders schuldenfrei zu
machen, sondern um auch Marit zu gestatten, nach Herzenslust
herumzuwirtschaften und zu reformieren. Er wuenschte, sie solle das
ganze Erbe fuer sich behalten, aber darueber lachte sie. Er wurde also
Kompagnon seines Bruders und war fuer norwegische Verhaeltnisse

fortan ein recht wohlhabender Mann.
In ihrer Ehe ging nach einigen Monaten eine Veraenderung mit Marit
vor. Sie gab sich wunderlichen Einfaellen hin; die Grenzen zwischen
Traum und Wirklichkeit verwischten sich. Dabei wollte sie alles
umgestalten, was unter ihrer Aufsicht stand, sowohl in ihrem Heim hier
draussen, wie in dem Stadthause. Aus diesem Hause mussten die
Mieter hinaus. Sie wollte es fuer sich allein haben.
Seine Zeit war ausgefuellt von all ihren Einfaellen, besonders aber von
ihr selbst. Seine Dankbarkeit fand nur kaergliche Worte, aber sie lag in
seinen Augen, in seiner Hoeflichkeit, die an Umfang noch
zugenommen hatte; vor allem aber lag sie in seiner sorglichen
Achtsamkeit. Er hatte Angst, das wieder zu verlieren, was so
unerwartet gekommen war; oder dass irgend etwas
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 60
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.