Man Kann Nie Wissen | Page 6

George Bernard Shaw
hab' ihn mir herausziehen lassen. (Sie setzt sich auf die Stufe des Operationsstuhls. Frau Clandon nimmt den Sessel, der vor dem Schreibtisch steht.)
(Philip mischt sich vom Kamin aus gravit?tisch ins Gespr?ch:) Und der Zahnarzt, ein erstklassiger Fachmann von gr??tem Ruf, wird mit uns frühstücken.
(Frau Clandon sieht sich ?ngstlich nach dem Stubenm?dchen um:) Phil!
(Das Stubenm?dchen.) Verzeihen Sie, gn?dige Frau, ich warte auf den Herrn Doktor. Ich habe ihm etwas auszurichten.
(Dolly.) Von wem?
(Frau Clandon verdrie?lich:) Dolly!
(Dolly fa?t ihre Lippen mit den Fingerspitzen und unterdrückt einen kleinen Heiterkeitsausbruch.)
(Das Stubenm?dchen.) Blo? vom Hausherrn, gn?diges Fr?ulein.
(Dr. Valentine kommt in einem blauen Serge-Anzug, mit einem Strohhut in der Hand, in bester Laune zurück, ganz atemlos infolge der Eile, mit der er sich umgezogen hat. Gloria wendet sich vom Fenster ab und mustert ihn mit kalter Aufmerksamkeit.)
(Philip.) Erlauben Sie, da? ich Sie bekannt mache, Herr Doktor.--Meine Mutter, Frau Lanfrey Clandon.
(Frau Clandon verneigt sich, Dr. Valentine verneigt sich, selbstbewu?t und der Situation gewachsen.) Meine Schwester Gloria. (Gloria verneigt sich mit kalter Würde und setzt sich auf das Sofa. Dr. Valentine verliebt sich auf den ersten Blick und ist entsetzlich verwirrt. Er dreht seinen Hut nerv?s zwischen den Fingern und macht Gloria eine schüchterne Verbeugung.)
(Frau Clandon.) Ich h?re, da? wir das Vergnügen haben werden, Sie heute zum Frühstück bei uns zu sehen, Herr Doktor?
(Dr. Valentine.) Ich danke--ich--wenn Sie gestatten--ich meine, wenn Sie so liebenswürdig sein wollen--(Zum Stubenm?dchen verdrossen:) Was ist los?
(Das Stubenm?dchen.) Der Hausherr wünscht Sie zu sprechen, bevor Sie ausgehen, Herr Doktor.
(Dr. Valentine.) Sagen Sie ihm, da? ich mit vier Patienten besch?ftigt bin. (Die Clandons sehen überrascht aus, mit Ausnahme von Philip, der unerschütterlich ruhig bleibt.) Aber wenn er etwa zwei Minuten warten wollte, so würde ich hinunterkommen und ihn einen Augenblick sprechen. (Er verl??t sich darauf, da? sie die Situation begreift.) Sagen Sie ihm, da? ich zu tun habe, aber da? ich mit ihm zu sprechen wünsche.
(Das Stubenm?dchen best?tigend:) Jawohl, Herr Doktor. (Sie gebt ab.)
(Frau Clandon im Begriff aufzustehen:) Ich fürchte, wir halten Sie auf.
(Dr. Valentine.) Durchaus nicht, durchaus nicht! Ihre Anwesenheit wird hier von gr??tem Vorteil für mich sein. Ich bin n?mlich seit sechs Wochen die Miete schuldig und habe bis zum heutigen Tage keinen einzigen Patienten gehabt. Meine Unterredung mit dem Hausherrn wird nun infolge des sichtlichen Aufschwungs meines Gesch?ftes viel besser ablaufen.
(Dolly ?rgerlich:) O wie gr??lich langweilig von Ihnen, das alles auszuplaudern! Und wir haben gerade eben behauptet, da? Sie ein hochangesehener Fachmann allerersten Ranges sind.
(Frau Clandon entsetzt:) O Dolly! Dolly! wie kannst du so grob sein! (Zu Dr. Valentine:) Bitte, entschuldigen Sie meine Kinder, diese Barbaren, Herr Doktor!
(Dr. Valentine.) O bitte, bitte, ich bin schon an sie gew?hnt.--W?re es unbescheiden, wenn ich Sie bitten würde, fünf Minuten zu warten, w?hrend ich unten meinen Hausherrn abfertige?
(Dolly.) Aber beeilen Sie sich, wir sind hungrig!
(Frau Clandon wieder protestierend:) Aber liebe Dolly!
(Dr. Valentine zu Dolly:) Gut, gut! (Zu Frau Clandon:) Besten Dank. Sie sind sehr gütig--ich werde nicht lange ausbleiben. (W?hrend er abgeht, wirft er einen raschen Blick auf Gloria. Sie betrachtet ihn sehr ernst. Er wird sehr verlegen.) Ich--?h--?h--ja--ich danke--ich danke Ihnen... (Es gelingt ihm endlich, sich aus dem Zimmer zu drücken, aber sein Abgang ist bemitleidenswert.)
(Philip.) Habt ihr gesehen? (Auf Gloria zeigend:) Liebe auf den ersten Blick. Du kannst seinen Skalp deiner Sammlung einreihen, Gloria.
(Frau Clandon.) Scht! scht... ich bitte dich, Phil! Er kann es geh?rt haben!
(Philip.) Ach, der nicht--! (sich zu einer Szene vorbereitend:) Und nun gib acht, Mama. (Er nimmt den Schemel, der neben der)
(Bank steht, und setzt sich majest?tisch in die Mitte des Zimmers, die vorhergegangene Demonstration Valentines kopierend.)
(Dolly fühlt, da? ihr Platz auf der Stufe des Operationsstuhles nicht der Würde dieses Anlasses entspricht; sie erhebt sich und schaut wichtig und entschlossen drein. Sie geht an das Fenster und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Kante des Schreibtisches, ihre H?nde hinter sich auf den Tisch legend.)
(Frau Clandon betrachtet beide, verwundert, was da kommen wird.)
(Gloria wird aufmerksam.)
(Philip streckt sich, legt die Handkn?chel symmetrisch auf die Knie und tr?gt seinen Fall vor:) Dolly und ich, wir haben letzthin mancherlei besprochen, und infolge meiner Menschenkenntnis glaube ich nicht, glauben wir nicht, da? du... (er spricht sehr pointiert, mit Pausen zwischen den Worten:) die Tatsache in ihrer ganzen Tragweite erfa?t hast...
(Dolly setzt sich mit einem Satz auf den Tisch:)... da? wir erwachsen sind!
(Frau Clandon.) Wirklich?... In welcher Beziehung habe ich euch Anla? zu Klagen gegeben?
(Philip.) Nun, wir fangen an zu fühlen, da? es gewisse Dinge gibt, über die du uns etwas mehr ins Vertrauen ziehen k?nntest.
(Frau Clandon erhebt sich.) Die ganze Sanftmut ihres Alters ist pl?tzlich fort, und eine merkwürdig harte, würdevolle, aber verbissene, vornehme, jedoch unerschütterliche Aufregung, die Art der alten Vork?mpferin der Frauenbewegung, überkommt sie:) Phil, nimm dich in acht! Vergi? nicht, was ich dich immer gelehrt habe! Es gibt zwei Arten des Familienlebens, Phil, und deine Menschenkenntnis erstreckt sich vorl?ufig nur auf
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