Maass für Maass | Page 8

William Shakespeare
Herr.
Escalus. Ich bitte euch, kommt mit mir zum Mittag-Essen.
Richter. Ich danke euer Gnaden unterth?nig.
Escalus. Ich kr?nke mich herzlich über Claudios Tod; aber es ist nicht zu helfen.
Richter. Der Freyherr Angelo ist streng.
Escalus. Es ist nur allzu n?thig; Güte h?rt auf es zu seyn, wenn sie immer die gleiche Mine macht; und Nachsicht ist allemal die Mutter neuer Verbrechen. Und doch--armer Claudio! Es ist nicht zu helfen!-- Folget mir, mein Herr.
(Gehen ab.)

Sechste Scene. (Der Kerkermeister, ein Bedienter.)
Bedienter. Er giebt nur einer Partey Geh?r; er wird gleich kommen: Ich will ihm sagen, da? ihr hier seyd.
Kerkermeister. Ich bitte euch, thut es; ich m?chte wissen, was sein Wille ist; vielleicht ihn wieder frey zu lassen--Ach! Er hat kaum mehr als in einem Traum gesündiget; alle St?nde, alle Alter riechen nach diesem Laster--und er soll dafür sterben. (Angelo zu den Vorigen.)
Angelo. Nun, was giebt es, Kerkermeister?
Kerkermeister. Ist es Euer Gnaden Wille, da? Claudio morgen sterben solle?
Angelo. Sagt' ich dir nicht schon, ja? Hast du nicht Befehl? Wozu brauchst du noch einmal zu fragen?
Kerkermeister. Aus Furcht, ich m?chte zu rasch seyn. Mit Euer Gnaden Erlaubni?, ich habe den Fall schon erlebt, da der Richter nach der Vollziehung sein Urtheil gerne wiederruffen h?tte.
Angelo. Thu du deine Pflicht, und la? das meine Sorge seyn; thu deine Pflicht, oder gieb dein Amt auf; und es soll dir keine Mühe mehr gemacht werden.
Kerkermeister. Ich bitt' unterth?nig um Verzeihung, Gn?diger Herr--Und was soll ich mit der winselnden Juliette anfangen? Sie ist ihrer Entbindung sehr nahe.
Angelo. Bringe sie an einen bequemem Ort, und das unverzüglich.
Der Bediente. Gn?diger Herr, hier ist die Schwester des verurtheilten Manns, und bittet vor Euer Gnaden gelassen zu werden.
Angelo. Hat er eine Schwester?
Kerkermeister. Ja, Gn?diger Herr, eine sehr tugendhafte junge Person, die im Begriff ist eine Klosterfrau zu werden, wenn sie es nicht schon ist.
Angelo. Gut; la? sie herein kommen.
(Bedienter geht ab.)
Sorgt ihr davor, da? die Hure in einen andern Ort gebracht werde; la?t ihr blo? die nothdürftige, und keine überflüssige Unterhaltung geben; es soll Befehl deshalb ertheilt werden.

Siebende Scene. (Lucio und Isabella, zu den Vorigen.) (Kerkermeister will abtreten.)
Angelo. Bleibt noch ein wenig--
(Zu Isabella.)
Seyd willkommen; was ist euer Begehren?
Isabella. Ich bin eine bekümmerte Person, die eine Bitte an Euer Gnaden thun m?chte, wenn es euch gefiele mich anzuh?ren.
Angelo. Gut; was ist eure Bitte?
Isabella. Es ist ein Laster, das ich von Herzen verabscheue; das ich gestraft zu sehen wünsche, und für welches ich keine Fürbitte thun würde, wenn ich nicht mü?te.
Angelo. Gut, zur Sache.
Isabella. Ich habe einen Bruder der zum Tod verurtheilt ist; ich bitte euch, la?t das Urtheil auf sein Verbrechen, und nicht auf meinen Bruder fallen.
Kerkermeister (leise.) Der Himmel gebe dir die Gnade, ihn zu rühren;
Angelo. Das Verbrechen verurtheilen, und nicht den Th?ter? Ein jedes Verbrechen ist schon verurtheilt, eh es gethan wird. Was würde mein Amt seyn, wenn ich die Verbrechen f?nde, deren Strafe die Geseze bestimmt haben, und die Th?ter gehen liesse?
Isabella. O! allzugerechtes wiewohl strenges Gesez!--Ich habe also keinen Bruder mehr--
(Sie will fortgehen.)
Lucio (leise.) Gebt nicht so gleich auf; versucht es noch einmal, bittet ihn, fallt auf die Knie, h?ngt euch an seinen Rok; ihr seyd zu kalt; wenn ihr eine Steknadel n?thig h?ttet, k?nntet ihr sie mit keiner gleichgültigern Art verlangen. Noch einmal an ihn, sag' ich.
Isabella (zu Angelo.) Mu? er denn nothwendig sterben?
Angelo. M?dchen, dafür ist kein Mittel.
Isabella. Ey ja, ich denke ihr k?nntet ihm Gnade widerfahren lassen; weder der Himmel noch die Menschen mi?billigen es, wenn man Gnade vor Recht gehen l??t.
Angelo. Ich will aber nicht.
Isabella. K?nntet ihr, wenn ihr wolltet?
Angelo. Seht, was ich nicht will, das kan ich auch nicht.
Isabella. Aber k?nntet ihr es thun, ohne da? die Welt einen Schaden davon h?tte, wenn euer Herz das Mitleiden des meinigen gegen ihn fühlte?
Angelo. Sein Urtheil ist gesprochen; es ist zu sp?t.
Lucio (leise.) Ihr seyd zu kalt.
Isabella. Zu sp?t? Warum? nein; ich kan ja ein Wort wiederruffen, das ich gesprochen habe: Glaubet nur, den K?nig ziert seine Crone, den Statthalter sein Schwerdt, den Marschall sein Stab, und den Richter sein Rok nicht halb so sehr als Gnade; w?ret ihr an seinem Plaze gewesen und er an euerm, ihr würdet gestrauchelt haben, wie er; aber er würde nicht so strenge gewesen seyn.
Angelo. Ich bitte euch, geht.
Isabella. Wollte der Himmel, ich h?tte eure Macht, und ihr w?ret Isabella; es sollte nicht so seyn.
Lucio. Nur weiter--das ist der rechte Ton--
Angelo. Das Gesez hat euern Bruder verurtheilt; alle eure Worte sind verschwendet.
Isabella. Ach! gn?diger Himmel! wie? Alle Seelen hatten einst gesündigt, und waren vom Gesez verurtheilt. Aber der, der sie mit bestem Fug straffen konnte, fand ein Mittel aus. Wenn er euch richten wollte, wie ihr seyd? O! denkt an das! und Gnade wird, gleich dem neuerschaffnen Menschen, aus euern Lippen athmen.
Angelo. Gebt euch zufrieden, sch?nes M?dchen; das Gesez verurtheilt euern Bruder, nicht ich. W?r' er mein Verwandter, mein Bruder, mein Sohn, so würd'
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