Maass für Maass | Page 9

William Shakespeare
es ihm nicht anders ergehen; morgen stirbt er.
Isabella. Morgen? O! das ist zu schnell. Schonet seiner, gebt ihm noch Frist; er ist nicht zum Sterben bereitet. Wir t?dten ja das Geflügel für unsre Küche nicht eher, bis es Zeit ist; sollen wir den Himmel schlechter bedienen, als den gr?bsten Theil von uns selbst? O! mein gütiger Herr, bedenkt euch: Wenn ist jemals einer für di? Vergehen gestorben. Es sind manche, die es begangen haben.
Lucio (leise.) Gut, wohl gesprochen!
Angelo. Das Gesez ist nicht todt gewesen, ob es gleich geschlaffen hat. Diese (Manche) h?tten sich nicht unterstanden zu sündigen, wenn der erste, der das Gesez übertrat, gestraft worden w?re. Izt, ist es aufgewacht, erkundigt sich dessen was gethan wird, und sieht, gleich einem Wahrsager, in einem Spiegel, alle die künftigen Verbrechen vor, die durch eine l?ngere Nachsicht veranla?t würden, und auf keine andere Art verhindert werden k?nnen, als wenn sie vor ihrer Geburt get?dtet werden.
Isabella. La?t wenigstens einiges Mitleiden sehen.
Angelo. Ich kan es nicht besser sehen lassen, als wenn ich Gerechtigkeit sehen lasse; denn alsdann hab' ich sogar Mitleiden mit denen, die ich nicht kenne, indem ich verhindere, da? ein ungestraftes Verbrechen sie nicht zur Nachfolge reize; ja mit dem Verbrecher selbst, der wenn er für eine b?se That büssen mu?, nicht lebt um die zweyte zu begehen. Gebt euch zufrieden; euer Bruder stirbt morgen; gebt euch zufrieden.
Isabella. So mü?t ihr also der erste seyn, der ein solches Urtheil spricht, und er der erste, der dadurch leidet. O! es ist vortrefflich, die St?rke eines Riesen zu haben; aber es ist tyrannisch, sie wie ein Riese zu gebrauchen.
Lucio (leise.) Das ist wohl gesprochen.
Isabella. K?nnten die Grossen der Welt donnern wie Jupiter, so würde Jupiter selbst keine Ruhe vor ihnen haben; denn bis auf den kleinsten ledernen Officianten würde ein jeder seinen Himmel zum donnern brauchen wollen. Nichts als donnern--Gütiger Himmel! dein scharfer schweflichter Keil zersplittert lieber die harte und knottichte Eiche als die sanfte Myrrthe: O! nur der Mensch, der stolze Mensch, für etliche Augenblike in ein wenig Ansehen gekleidet, vergi?t was er am gewissesten wissen kan, seiner zerbrechlichen Natur; und spielt, gleich einem erbo?en Affen, so phantastische Streiche vor den Augen des Himmels, da? die Engel darüber weinen, die, wenn sie unsre Milz* h?tten, sich alle sterblich lachen mü?ten.
{ed.-* Die Alten schrieben ein unm??iges Gel?chter der Gr?sse der Milz zu. Warbürton.}
Lucio (leise.) Weiter, weiter, M?dchen--das wird würken--es k?mmt ihm, ich merk' es.
Kerkermeister. Wollte Gott, sie m?chte ihn gewinnen!
Isabella. Ich darf meinen Bruder nicht gegen euch abw?gen; grosse Herren dürfen mit Heiligen scherzen; an ihnen ist Wiz, was an geringem Gottlosigkeit w?re.
Lucio. Du hast recht, M?dchen; mehr dergleichen--
Isabella. An dem Hauptmann ist das nur ein hastiges Wort, was an dem gemeinen Soldaten eine platte L?sterung ist.
Angelo. Wozu sagt ihr diese Dinge mir?
Isabella. Weil das h?chste Ansehn, ob es gleich dem Irrthum eben so sehr unterworffen ist als andre Leute, doch immer eine Art von Arzney bey sich führt, die seine Vergehungen sogleich wieder zuheilt; geht in euch selbst; klopft an euerm Busen an, und fragt euer Herz, was es sich bewu?t ist, das meines Bruders Fehler ?hnlich ist; und wenn es euch wenigstens die F?higkeit gesteht, eben so zu sündigen wie er, so erlaubt ihm keinen Gedanken gegen meines Bruders Leben auf eure Zunge zu t?nen.
Angelo (für sich.) Sie spricht mit einem Verstand, der den meinigen überw?ltiget-- Lebet wohl--
(Er will weggehen.)
Isabella. O! mein Gn?diger Herr, kehret zurük.
Angelo. Ich will mich bedenken; kommt morgen wieder.
Isabella. H?ret doch, wie ich euch bestechen will; mein gütiger Herr, kehret zurück.
Angelo. Wie? Mich bestechen?
Isabella. Ja, mit solchen Geschenken, die der Himmel mit euch theilen soll.
Lucio (leise.) Gut, sonst h?ttet ihr alles verdorben.
Isabella. Nicht mit Gold oder Steinen, die nur werth sind, was die Einbildung sie gelten l??t, sondern mit unschuldigen Fürbitten, die zum Himmel aufsteigen, und durch ihn eindringen sollen, eh die Sonne wieder aufgeht; mit Fürbitten von unbeflekten Seelen, von fastenden Jungfrauen, deren Herzen zu nichts Zeitlichem geweihet sind.
Angelo. Gut, kommt morgen wieder.
Lucio (leise.) Geht izt, es ist genug--weg.
Isabella. Der Himmel erhalte Euer Gnaden gesund. Um welche Zeit soll ich morgen Euer Gnaden aufwarten?
Angelo. Vor Mittag, wenn ihr wollt.
(Isabella geht ab mit Lucio und Kerkermeister.)

Achte Scene.
Angelo (allein.) Von dir? Von deiner Tugend selbst? Was ist das? Was ist das? Ist es deine Schuld oder meine? Wer sündiget am meisten, der Versucher, oder der Versuchte? Nicht sie, denn sie denkt nur nicht daran mich versuchen zu wollen; ich bin es, der neben dem Veilchen in der Sonne ligend, gleich einem Aa?, nicht wie die Blume, von der holden Frühlings-W?rme faule. Ists m?glich, da? die Sittsamkeit eines Weibes unsern Sinnen gef?hrlicher seyn soll, als ihre Schlüpfrigkeit? Sollen wir, da wir genug unnüzen Boden haben, einen Tempel niederreissen, um unsre Laster hinein zu steken?--O pfui, pfui, pfui! Was thust du, oder was bist du, Angelo? O la? ihren Bruder leben:
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