Märchen für Kinder | Page 8

Hans Christian Andersen
und ging dann in die Stadt hinein. Das
konnte er recht wohl thun, denn bei den Türken ging ja alles wie er in
Schlafrock und Pantoffeln. Da begegnete er einer Frau und fragte sie:
»Was ist das für ein großes Schloß hier unmittelbar bei der Stadt,
dessen Fenster so hoch sitzen?«
»Dort wohnt die Tochter des Königs!« sagte sie, »es ist ihr geweissagt
worden, daß sie einstmals über ihren Bräutigam sehr unglücklich
werden würde und deshalb darf niemand zu ihr kommen, wenn nicht
der König und die Königin zugegen sind!«
»Ich danke!« sagte der Kaufmannssohn und dann ging er in den Wald
hinaus, setzte sich in seinen Koffer, flog auf das Dach des Schlosses
und kroch durch das Fenster zur Prinzessin hinein.
Sie lag auf dem Sofa und schlief; sie war so lieblich, daß er sie küssen
mußte. Sie erwachte und erschrack heftig, er aber sagte, er wäre der
Türkengott, der durch die Luft zu ihr gekommen wäre und das
schmeichelte ihr.
Da saßen sie nun Seite an Seite und er erzählte ihr Märchen und
Geschichten.
Ja, das waren herrliche Geschichten! Dann freite er um die Prinzessin
und sie sagte sogleich ja.
»Aber Sie müssen den Sonnabend herkommen, da ist der König und
die Königin bei mir zum Thee. Sie werden sehr stolz darauf sein, daß
ich den Türkengott bekomme. Aber sorgen Sie dafür, daß Sie ein recht
schönes Märchen erzählen können, denn das gewährt meinen Eltern die
angenehmste Unterhaltung. Meine Mutter hört gern ernste und
vornehme, und mein Vater lustige, über die man lachen kann.«
»Ja, ich bringe keine andere Brautgabe, als ein Märchen!« und dann

trennten sie sich; aber die Prinzessin gab ihm einen mit Goldstücken
besetzten Säbel, und die Goldstücke konnte er besonders gebrauchen.
Nun flog er fort, kaufte sich einen neuen Schlafrock, ließ seinen Koffer
recht schön herrichten, setzte sich dann draußen in den Wald und
dichtete ein Märchen. Das sollte bis zum Sonnabend fertig sein und das
war nicht so leicht. Als es nun fertig war, siehe da war es gerade
Sonnabend.
Der König, die Königin und der ganze Hof warteten bei der Prinzessin
mit dem Thee. Als der Kaufmannssohn nun angeflogen kam, wurde er
sehr freundlich empfangen.
»Wollen Sie nun ein Märchen erzählen!« sagte die Königin, »eins,
welches tiefsinnig und belehrend ist!«
»Aber worüber man auch lachen kann!« sagte der König.
»Jawohl!« sagte er und erzählte nun folgendes:
»Es war einmal ein Bund Schwefelhölzer, die sich auf ihre hohe
Abkunft was einbildeten. Ihr Stammbaum, das heißt die große Fichte,
von der jedes ein kleines, kleines Stückchen war, stand als ein großer
alter Baum im Walde. Die Schwefelhölzer lagen nun auf dem Gesimse
zwischen einem Feuerzeuge und einem alten eisernen Topfe und diesen
erzählten sie von ihrer Jugend. »Ja, als wir auf dem grünen Zweige
waren,« sagten sie, »da waren wir wahrlich auf einem grünen Zweige.
Jeden Abend und Morgen gab es Diamantthee, das war der Tau, den
ganzen Tag hatten wir Sonnenschein, wenn nämlich die Sonne schien
und alle die kleinen Vögel mußten uns Geschichten erzählen. Wir
konnten recht gut merken, daß wir auch reich waren, denn die
Laubbäume waren nur im Sommer bekleidet, aber unsere Familie hatte
die Mittel, für Sommer und Winter grüne Kleider anzuschaffen. Nun
aber kamen Holzhauer und es entstand eine große Umwälzung; unsere
ganze Familie zersplitterte sich. Der Stammherr erhielt als Hauptmast
Platz auf einem prächtigen Schiffe, das die Welt umsegeln konnte,
wenn es wollte. Den anderen Zweigen wurden andere Stellen
eingeräumt und wir haben nun die Aufgabe, der niederen Menge das

Licht anzuzünden.«
»Ich weiß ein anderes Lied zu singen!« sagte der Eisentopf, an dessen
Seite die Schwefelhölzer lagen. »Seit ich das Licht der Welt erblickte,
bin ich viele mal gescheuert und gekocht worden. Ich sorge für das
Dauerhafte und bin, eigentlich gesprochen, der erste hier im Hause.
Meine einzige Freude ist, nach Tische rein und fein auf dem Gesimse
zu liegen und mit den Kameraden vernünftig zu plaudern. Nehme ich
aber den Wassereimer aus, der doch bisweilen auf den Hof hinunter
kommt, so leben wir hier immer hinter zugemachten Thüren. Unser
einziger Neuigkeitsbote ist der Marktkorb, aber der redet zu
aufrührerisch über die Regierung und das Volk.«
»Nun sprichst du zu viel!« sagte das Feuerzeug und der Stahl schlug
gegen den Feuerstein, daß Funken sprühten. »Wollen wir uns nicht
einen lustigen Abend machen?«
»Ja, lasset uns davon sprechen, wer der Vornehmste ist!« sagten die
Schwefelhölzer.
»Nein, ich spreche nicht gern von mir selber!« versetzte der Thontopf.
»Ich schlage eine Abendunterhaltung vor. Ich will den Anfang machen
und etwas erzählen; jeder teilt mit, was er erlebt hat. Da kann man sich
so trefflich hineinfinden und es ist sehr lustig! Also hört: An der Ostsee
bei den dänischen Buchten brachte ich meine Jugend bei einer stillen
Familie zu; die Möbel wurden poliert, der Fußboden aufgewischt und
alle vierzehn Tage wurden neue
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