Märchen für Kinder | Page 9

Hans Christian Andersen
Vorhänge aufgesteckt!«
»Wie anschaulich Sie doch erzählen!« sagte der Haarbesen. »Man kann
gleich hören, daß ein Frauenzimmer erzählt; es zieht sich etwas
Reinliches hindurch!«
»Ja, das fühlt man!« sagte der Wassereimer und machte einen Satz, daß
es auf dem Boden nur so klatschte!
Der Topf fuhr fort zu erzählen und das Ende entsprach dem Anfange.
Alle Teller klirrten vor Freude und der Haarbesen zog grüne Petersilie

aus dem Sandloche und bekränzte den Topf, weil er wußte, er würde
die andern dadurch ärgern und »bekränze ich ihn heute,« dachte er, »so
bekränzt er mich morgen!«
»Nun will ich tanzen!« sagte die Feuerzange und tanzte. »Werde ich
nun auch bekränzt?« fragte die Feuerzange und sie wurde es.
»Das ist doch nur Pöbel!« dachten die Schwefelhölzer.
Nun sollte die Theemaschine singen, aber sie entschuldigte sich mit
Erkältung; auch könnte sie nur in kochendem Zustande singen, aber es
geschah eigentlich aus lauter Vornehmthuerei; sie wollte nur auf dem
Tisch drinnen bei der Herrschaft singen.
Im Fenster saß eine alte Feder, mit der die Magd zu schreiben pflegte.
Es war nichts Bemerkenswertes an ihr, ausgenommen, daß sie zu tief in
das Tintenfaß getaucht war, aber gerade darauf that sie sich etwas zu
Gute. »Will die Theemaschine nicht singen,« sagte sie, »so mag sie es
bleiben lassen. Draußen sitzt im Bauer eine Nachtigall, die singen kann;
sie hat zwar nichts gelernt, aber gleichwohl wollen wir ihr das heute
Abend nicht übel auslegen!«
»Ich finde es im höchsten Grade unpassend,« äußerte der Theekessel,
der das Amt eines Küchensängers bekleidete und ein Halbbruder der
Theemaschine war, »daß ein fremder Vogel angehört werden soll. Ist
das patriotisch? Ich fordere den Marktkorb auf, darüber sein Urteil
abzugeben!«
»Ich ärgere mich nur!« sagte der Marktkorb, »ich ärgere mich so sehr,
wie es sich niemand vorstellen kann! Würde es nicht weit vernünftiger
sein, das ganze Haus einmal auf den rechten Fleck zu setzen? Jeder
sollte dann schon den ihm gebührenden Platz erhalten, und ich würde
die ganzen Anordnungen treffen!«
»Ja, laßt uns Lärm machen!« riefen sie sämtlich. Plötzlich ging die
Thüre auf. Es war das Dienstmädchen, und nun standen sie still und
wagten nicht Muck zu sagen. Aber da war kein Topf, der nicht ein
Gefühl seiner Macht und Würde gehabt hätte. »Ja, wenn ich nur

gewollt hätte,« dachte ein jeder, »dann würde es sicher einen lustigen
Abend gegeben haben!«
Das Dienstmädchen nahm die Schwefelhölzer und machte Feuer mit
ihnen an -- Gott bewahre uns, wie sie sprühten und aufflammten.
»Nun kann ein jeder sehen, daß wir die ersten sind!« dachten sie.
»Welchen Glanz, welches Licht wir haben!« -- und nun waren sie
ausgebrannt. Und nun ist auch meine Geschichte aus.«
»Das war ein herrliches Märchen!« sagte die Königin. »Ich fühlte mich
im Geiste ganz zu den Schwefelhölzern in die Küche versetzt. Ja, nun
sollst du unsere Tochter haben!«
»Jawohl!« sagte der König, »du sollst unsere Tochter den Montag
bekommen!« denn nun sagte er zu ihm, als zu einem künftigen
Familiengliede, »du«.
Die Hochzeit war also festgesetzt und den Abend vorher wurde die
ganze Stadt erleuchtet; es war außerordentlich prachtvoll.
»Ich muß wohl auch daran denken, mein Scherflein zu den
Feierlichkeiten beizutragen!« dachte der Kaufmannssohn, und nun
kaufte er Raketen, Knallerbsen und alles erdenkliche Feuerwerk, legte
es in seinen Koffer und flog damit in die Luft empor.
Rutsch! ging es in die Höhe und verpuffte unter vielem Lärm.
Alle Türken hüpften dabei in die Höhe, daß ihnen die Pantoffeln um
die Ohren fuhren. Dergleichen Lufterscheinungen hatten sie niemals
gesehen. Nun sahen sie ein, daß es der Türkengott selber war, der die
Prinzessin bekommen sollte.
Sobald sich der Kaufmannssohn mit seinem Koffer wieder in den Wald
hinabgelassen hatte, dachte er: »Ich will doch in die Stadt gehen, um
mir berichten zu lassen, wie es sich ausgenommen hat.« Man kann sich
wohl zusammenreimen, daß er Lust dazu hatte.

Nein, was ihm die Leute doch alles erzählten! Ein jeder, bei dem er sich
erkundigte, hatte es in seiner Weise gesehen, aber einen prächtigen
Eindruck hatte es auf alle gemacht.
»Ich sah den Türkengott selbst!« erzählte der eine, »er hatte Augen wie
blitzende Sterne und einen Bart wie schäumendes Wasser!«
»Er flog in einem feurigen Mantel,« berichtete ein anderer.
Ja, das waren vortreffliche Sachen, die er zu hören bekam, und den Tag
darauf sollte er Hochzeit haben.
Nun ging er nach dem Walde zurück, um sich in seinen Koffer zu
setzen -- aber wo war der? Der Koffer war verbrannt. Ein Funke war
von dem Feuerwerk zurückgeblieben, der Feuer gefangen und den
Koffer in Asche gelegt hatte. Er konnte nicht mehr fliegen, nicht mehr
zu seiner Braut gelangen.
Sie aber stand den ganzen Tag auf dem Dache und harrte seiner. Sie
wartet noch, er aber durchzieht die Welt und erzählt Märchen, die
jedoch nicht mehr so lustig sind, wie das von den Schwefelhölzchen.

Der Schneemann.
[Abbildungen/Illustrations: pic15.jpg, tafel2.jpg]
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 75
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.