Leben Schillers, aus dem Englischen | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe

Auch ist die Einsamkeit nicht so bedeutend, eine Lohnkutsche bringt
uns leicht nach Edinburgh, das wir als unser brittisch Weimar ansehen.
Habe ich denn nicht auch gegenwärtig eine ganze Ladung von
französischen, deutschen, amerikanischen, englischen Journalen und
Zeitschriften, von welchem Werth sie auch seyn mögen, auf den
Tischen meiner kleinen Bibliothek aufgehäuft!
Auch an alterthümlichen Studien fehlt es nicht. Von einigen unsrer
Höhen entdeck' ich, ohngefähr eine Tagereise westwärts, den Hügel,
wo Agrikola und seine Römer ein Lager zurückliessen; am Fusse
desselben war ich geboren, wo Vater und Mutter noch leben um mich
zu lieben. Und so muss man die Zeit wirken lassen. Doch wo gerath ich

hin! Lassen Sie mich noch gestehen, ich bin ungewiss über meine
künftige literarische Thätigkeit, worüber ich gern Ihr Urtheil
vernehmen möchte; gewiss schreiben Sie mir wieder und bald, damit
ich mich immer mit Ihnen vereint fühlen möge."
* * *
Wir, nach allen Seiten hin wohlgesinnten, nach allgemeinster Bildung
strebenden Deutschen, wir wissen schon seit vielen Jahren die
Verdienste würdiger schottischer Männer zu schätzen. Uns blieb nicht
unbekannt, was sie früher in den Naturwissenschaften geleistet, woraus
denn nachher die Franzosen ein so grosses Uebergewicht erlangten.
In der neuern Zeit verfehlten wir nicht den löblichen Einfluss
anzuerkennen, den ihre Philosophie auf die Sinnesänderung der
Franzosen ausübte, um sie von dem starren Sensualism zu einer
geschmeidigern Denkart auf dem Wege des gemeinen
Menschenverstandes hinzuleiten. Wir verdankten ihnen gar manche
gründliche Einsicht in die wichtigsten Fächer brittischer Zustände und
Bemühungen.
Dagegen mussten wir vor nicht gar langer Zeit unsre
ethisch-ästhetischen Bestrebungen in ihren Zeitschriften auf eine Weise
behandelt sehen, wo es zweifelhaft blieb, ob Mangel an Einsicht oder
böser Wille dabey obwaltete; ob eine oberflächliche, nicht genug
durchdringende Ansicht, oder ein widerwilliges Vorurtheil im Spiele
sey. Dieses Ereigniss haben wir jedoch geduldig abgewartet, da uns ja
dergleichen im eignen Vaterlande zu ertragen genugsam von jeher
auferlegt worden.
In den letzten Jahren jedoch erfreuen uns aus jenen Gegenden die
liebevollsten Blicke, welche zu erwiedern wir uns verpflichtet fühlen
und worauf wir in gegenwärtigen Blättern unsre wohldenkenden
Landsleute, insofern es nöthig seyn sollte, aufmerksam zu machen
gedenken.
* * *

Herr Thomas Carlyle hatte schon den Wilhelm Meister übersetzt und
gab sodann vorliegendes Leben Schillers im Jahre 1825 heraus.
Im Jahre 1827 erschien German Romances in 4 Bänden, wo er, aus den
Erzählungen und Mährchen deutscher Schriftsteller als: Musäus, _La
Motte Fouqué, Tieck, Hoffmann, Jean Paul und Goethe_, heraushob,
was er seiner Nation am gemässesten zu seyn glaubte.
Die einer jeden Abtheilung vorausgeschickten Nachrichten von dem
Leben, den Schriften, der Richtung des genannten Dichters und
Schriftstellers geben ein Zeugniss von der einfach wohlwollenden
Weise, wie der Freund sich möglichst von der Persönlichkeit und den
Zuständen eines jeden zu unterrichten gesucht, und wie er dadurch auf
den rechten Weg gelangt, seine Kenntnisse immer mehr zu
vervollständigen.
In den Edinburgher Zeitschriften, vorzüglich in denen welche
eigentlich fremder Literatur gewidmet sind, finden sich nun, ausser den
schon genannten deutschen Autoren, auch Ernst Schulz, Klingemann,
_Franz Horn, Zacharias Werner, Graf Platen_ und manche andere, von
verschiedenen Referenten, am meisten aber von unserm Freunde,
beurtheilt und eingeführt.
Höchst wichtig ist bey dieser Gelegenheit zu bemerken, dass sie
eigentlich ein jedes Werk nur zum Text und Gelegenheit nehmen, um
über das eigentliche Feld und Fach, so wie alsdann über das besondere
Individuelle, ihre Gedanken zu eröffnen und ihr Gutachten meisterhaft
abzuschliessen.
Diese Edinburgh Reviews, sie seyen dem Innern und Allgemeinen, oder
den auswärtigen Literaturen besonders gewidmet, haben Freunde der
Wissenschaften aufmerksam zu beachten; denn es ist höchst
merkwürdig, wie der gründlichste Ernst mit der freysten Uebersicht, ein
strenger Patriotismus mit einem einfachen reinen Freysinn, in diesen
Vorträgen sich gepaart findet.
* * *

Geniessen wir nun von dort, in demjenigen was uns hier so nah angeht,
eine reine einfache Theilnahme an unsern ethisch-ästhetischen
Bestrebungen, welche für einen besondern Charakterzug der Deutschen
gelten können, so haben wir uns gleichfalls nach dem umzusehen, was
ihnen dort von dieser Art eigentlich am Herzen liegt. Wir nennen hier
gleich den Namen Burns, von welchem ein Schreiben des Herrn
Carlyle's folgende Stelle enthält.
"Das einzige einigermassen Bedeutende, was ich seit meinem Hierseyn
schrieb, ist ein Versuch über Burns. Vielleicht habt Ihr niemals von
diesem Mann gehört, und doch war er einer der entschiedensten Genies;
aber in der tiefsten Classe der Landleute geboren und durch die
Verwicklungen sonderbarer Lagen zuletzt jammervoll zu Grunde
gerichtet, so dass was er wirkte verhältnissmässig geringfügig ist; er
starb in der Mitte der Manns-Jahre (1796)."
"Wir Engländer, besonders wir Schottländer, lieben Burns mehr als
irgend einen Dichter seit Jahrhunderten. Oft war ich von der
Bemerkung betroffen, er sey wenig Monate vor Schiller, in dem Jahr
1759 geboren und keiner dieser beiden habe jemals des andern Namen
vernommen. Sie glänzten als Sterne in entgegengesetzten Hemisphären,
oder, wenn man will, eine trübe Erdatmosphäre fing ihr gegenseitiges
Licht auf."
Mehr jedoch
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