Kritik der reinen Vernunft (1st edition) | Page 6

Immanuel Kant
Ansehung des Drucks anzumerken. Da der
Anfang desselben etwas verspätet war, so konnte ich nur etwa die
Hälfte der Aushängebogen zu sehen bekommen, in denen ich zwar
einige, den Sinn aber nicht verwirrende Druckfehler antreffe, außer
demjenigen, der S. 379, Zeile 4 von unten vorkommt, da spezifisch
anstatt skeptisch gelesen werden muß. Die Antinomie der reinen
Vernunft, von Seite 425 bis 461, ist so, nach Art einer Tafel, angestellt,
daß alles, was zur Thesis gehört, auf der linken, was aber zur Antithesis
gehört, auf der rechten Seite immer fortläuft, welches ich darum so
anordnete, damit Satz und Gegensatz desto leichter miteinander
verglichen werden könnte.

Inhalt
Einleitung I. Transzendentale Elementarlehre Erster Teil.
Transzendentale Ästhetik 1. Abschnitt. Vom Raume 2. Abschnitt. Von
der Zeit Zweiter Teil. Transzendentale Logik 1. Abteilung.

Transzendentale Analytik in zwei Büchern und deren verschiedenen
Hauptstücken und Abschnitten 2. Abteilung. Transzendentale Dialektik
in zwei Büchern und deren verschiedenen Hauptstücken und
Abschnitten II. Transzendentale Methodenlehre 1. Hauptstück. Die
Disziplin der reinen Vernunft 2. Hauptstück. Der Kanon der reinen
Vernunft. 3. Hauptstück. Die Architektonik der reinen Vernunft 4.
Hauptstück. Die Geschichte der reinen Vernunft

Einleitung
I. Idee der Transzendental-Philosophie
Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Produkt, welches unser Verstand
hervorbringt, indem er den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen
bearbeitet. Sie ist eben dadurch die erste Belehrung und im Fortgange
so unerschöpflich an neuem Unterricht, daß das zusammengekettete
Leben aller künftigen Zeugungen an neuen Kenntnissen, die auf diesem
Boden gesammelt werden können, niemals Mangel haben wird.
Gleichwohl ist sie bei weitem nicht das einzige Feld, darin sich unser
Verstand einschränken läßt. Sie sagt uns zwar, was da sei, aber nicht,
daß es notwendigerweise, so und nicht anders, sein müsse. Eben darum
gibt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit, und die Vernunft, welche
nach dieser Art von Erkenntnissen so begierig ist, wird durch sie mehr
gereizt, als befriedigt. Solche allgemeine Erkenntnisse nun, die
zugleich den Charakter der innern Notwendigkeit haben, müssen, von
der Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und gewiß sein; man
nennt sie daher Erkenntnisse a priori: da im Gegenteil das, was
lediglich von der Erfahrung erborgt ist, wie man sich ausdrückt, nur a
posteriori, oder empirisch erkannt wird.
Nun zeigt es sich, welches überaus merkwürdig ist, daß selbst unter
unsere Erfahrungen sich Erkenntnisse mengen, die ihren Ursprung a
priori haben müssen und die vielleicht nur dazu dienen, um unsern
Vorstellungen der Sinne Zusammenhang zu verschaffen. Denn wenn
man aus den ersteren auch alles wegschafft, was den Sinnen angehört,
so bleiben dennoch gewisse ursprüngliche Begriffe und aus ihnen
erzeugte Urteile übrig, die gänzlich a priori, unabhängig von der
Erfahrung entstanden sein müssen, weil sie machen, daß man von den
Gegenständen, die den Sinnen erscheinen, mehr sagen kann,
wenigstens es sagen zu können glaubt, als bloße Erfahrung lehren

würde, und daß Behauptungen wahre Allgemeinheit und strenge
Notwendigkeit enthalten, dergleichen die bloß empirische Erkenntnis
nicht liefern kann.
Was aber noch weit mehr sagen will ist dieses, daß gewisse
Erkenntnisse sogar das Feld aller möglichen Erfahrungen verlassen,
und durch Begriffe, denen überall kein entsprechender Gegenstand in
der Erfahrung gegeben werden kann, den Umfang unserer Urteile über
alle Grenzen derselben zu erweitern den Anschein haben.
Und gerade in diesen letzteren Erkenntnissen, welche über die
Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden noch
Berichtigung geben kann, liegen die Nachforschungen unserer
Vernunft die wir der Wichtigkeit nach für weit vorzüglicher, und ihre
Endabsicht für viel erhabener halten, als alles, was der Verstand im
Felde der Erscheinungen lernen kann, wobei wir, sogar auf die Gefahr
zu irren, eher alles wagen, als daß wir so angelegene Untersuchungen
aus irgendeinem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringschätzung
und Gleichgültigkeit aufgeben sollten.
Nun scheint es zwar natürlich, daß, sobald man den Boden der
Erfahrung verlassen hat, man doch nicht mit Erkenntnissen, die man
besitzt, ohne zu wissen woher, und auf den Kredit der Grundsätze,
deren Ursprung man nicht kennt, sofort ein Gebäude errichten werde,
ohne der Grundlegung desselben durch sorgfältige Untersuchungen
vorher versichert zu sein, daß man also die Frage vorlängst werde
aufgeworfen haben, wie denn der Verstand zu allen diesen
Erkenntnissen a priori kommen könne, und welchen Umfang,
Gültigkeit und Wert sie haben mögen. In der Tat ist auch nichts
natürlicher, wenn man unter diesem Wort das versteht, was billiger-
und vernünftigerweise geschehen sollte; versteht man aber darunter das,
was gewöhnlichermaßen geschieht, so ist hinwiederum nichts
natürlicher und begreiflicher, als daß diese Untersuchung lange Zeit
unterbleiben mußte. Denn ein Teil dieser Erkenntnisse, die
mathematischen, ist im alten Besitze der Zuverlässigkeit, und gibt
dadurch eine günstige Erwartung auch für andere, ob diese gleich von
ganz verschiedener Natur sein mögen. Überdem, wenn man über den
Kreis der Erfahrung hinaus ist, so ist man sicher, durch Erfahrung nicht
widersprochen zu werden. Der Reiz, seine Erkenntnisse zu erweitern,
ist so groß, daß man nur durch einen klaren Widerspruch, auf den man

stößt, in seinem Fortschritte aufgehalten werden
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