Kriegsbüchlein für unsere Kinder | Page 8

Agnes Sapper
schon
im Jahr 1870 getan. Aber sie verrechnen sich. Wir sind einig gegen sie;
wir streiten nur untereinander, wenn es nach außen nichts zu streiten
gibt, und das finde ich ganz natürlich.
Der Vater ist noch ein paar Tage in Berlin geblieben, er hatte noch
einige Besprechungen, über die er aber nichts mitteilen darf. In diese
Tage fiel die Kriegserklärung der Engländer. Diese taten, als müßten
sie Belgien schützen und leider deshalb in den Krieg ziehen.
Aber der Vater sagt, man hätte gleich gewußt, daß das nur ein Vorwand
sei und England habe sich durch diese Ausrede nur verächtlich gemacht.
Es sei eine große Schande, daß sie sich mit den Russen verbünden und
sie würden dieses Unrecht schwer büßen müssen.

Für den Vater gibt es jetzt vermehrte Arbeit und wir werden ihn nicht
viel für uns haben, wenn wir heimkommen. Aber die Mutter kann ihm
wenigstens manches helfen, manches schreiben, was er den Schreibern
nicht gern anvertraut.
Wenn ich nur schon 18 Jahre alt wäre statt 13, dann würde ich
vielleicht auch in manches eingeweiht. Statt dessen muß ich in die
Schule gehen, als wenn kein Krieg wäre. Die Mutter versteht, daß ich
keine Lust dazu habe; als ich es aber vor dem Vater sagte, kam ich
nicht gut an. Er sah erstaunt auf mich und sagte: "Ich hoffe doch von
meinem Mädel, daß es dasselbe tut, wie unsere Soldaten!" Ich verstand
nicht gleich, was er damit meinte, bis er sagte: "Die Soldaten tun ihre
Pflicht; mancher tut sogar noch mehr. Wenn du in diesem Schuljahr
noch mehr lernen willst, als nur das Nötige, so soll es mich freuen."
Da schwieg ich über die Schule. Es ist ja auch einerlei; denn ob man zu
Hause ist, oder in der Schule, bei den Großeltern auf dem Land oder bei
den Eltern in der Stadt, man denkt doch an gar nichts anderes, als an
den Krieg und man hat keinen andern Wunsch, als daß wir Deutsche
siegen!

Das Pfarrhaus in Ostpreußen.
In Ostpreußen waren die Russen eingebrochen. Das herrliche, blühende
Land, das an das riesige russische Reich grenzt, mußte den ersten
Anprall der Feinde aushalten. Wohl kämpften die todesmutigen
preußischen Grenadiere gegen den eindringenden Feind und hinderten
ihn, weiter nach Deutschland vorzurücken; aber Ostpreußen war der
Kampfplatz und ehe das Volk nur recht wußte, daß der Krieg erklärt sei,
begann schon die Verwüstung des Landes.
Ein Teil der Bewohner war noch rechtzeitig geflohen, aber wer Haus
und Hof, Äcker und Vieh besitzt, verläßt nicht so leicht die Heimat.
Da lag ein Pfarrdorf friedlich in fruchtbarer Gegend. Mit Entsetzen
hörten die Einwohner von der nahen Gefahr, aber sie flohen nicht. "Wir

können nicht," sagten sie zueinander, "wie sollten wir das machen?
Wohin? Wovon sollen wir uns ernähren? Was mit den Kranken
anfangen, und wo das Vieh unterbringen? Nein, es geht nicht."
Vom Nachbarort hatte man freilich gehört, daß viele Familien
geflüchtet waren, auch der Pfarrer.
"Unser Pfarrer wird auch gehen," sagten sie zu einander, "er hat seine
Mutter in Danzig. Dorthin wird er seine Frau und seine Kinder bringen;
da sind sie gut aufgehoben und bekommen ihr Brot umsonst. Wir
wollen ins Pfarrhaus gehen und hören, was der Herr Pfarrer meint."
Der Pfarrer saß am Schreibtisch und hatte die Zeitung aufschlagen vor
sich. Seine junge Frau lehnte neben ihm und sah zugleich in das Blatt,
aus dem er ihr die Kriegsnachrichten vorlas.
Jetzt wurden Schritte laut vor dem Studierzimmer. Die Pfarrfrau
öffnete die Türe. Eine ganze Anzahl Männer und Frauen standen da.
Sie sagten, daß sie des Herrn Pfarrers Meinung hören wollten, ob man
fliehen sollte.
Der Pfarrer riet zur Flucht: "Morgen schon können die Feinde hier
sein," sagte er, "und wir wissen ja, wie sie hausen. Wir Männer sind
unseres Lebens nicht sicher, Frauen und Kinder sind ihren Schandtaten
preisgegeben. Jetzt können wir noch flüchten; die Landsleute in
Westpreußen und in der Mark werden uns barmherzig aufnehmen, das
bin ich überzeugt."
"Also wollen Sie gehen, Herr Pfarrer?"
"Wenn ihr geht, ja."
"Und wenn wir nicht gehen?"
"Dann werde ich bei euch bleiben."
Einer sah den andern an, sie waren still und überlegten. Die Pfarrfrau,
die neben ihrem Manne stand, hatte noch kein Wort gesprochen; aber

jetzt unterbrach sie das Schweigen und sagte fast bittend mit erregter
Stimme: "Warum wollt ihr denn nicht fort? Ihr könnt ja doch Haus und
Hof nicht schützen, rettet doch wenigstens das Leben! Ach wir wollen
fliehen, gleich heute, sonst ist es zu spät!"
Da wandte einer der Bauern sich an sie: "Frau Pfarrer, ich glaube es
nicht, daß die Russen hier durchkommen; unser Ort liegt nicht an der
großen Straße; die Russen wollen doch auf Berlin marschieren, nach
Sudehnen werden sie schwerlich kommen. Wenn wir unsere Heimat
verlassen, dann geht sie uns verloren, denn allerhand Raubgesindel
treibt sich herum in solcher Zeit. Und in der Fremde werden wir alle
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