Kriegsbüchlein für unsere Kinder | Page 7

Agnes Sapper
Deutsche." Und dann bat
er die Vorstände der Parteien, ihm in die Hand zu geloben, daß sie mit
ihm durch dick und dünn, durch Not und Tod zusammen halten
wollten.
Da traten die Präsidenten und die Parteivorstände, zu denen ja auch der
Vater gehört, vor, und gelobten es durch Händedruck. Ich weiß nicht,
ob der Vater dadurch dem Kaiser noch treuer gesinnt ist, als er schon
vorher war, aber ich bin's, das kann ich für ganz gewiß sagen.
Und ich begreife so gut, daß alle Anwesenden nach dem "Hoch" auf
den Kaiser, das sonst immer das letzte war, diesmal die Nationalhymne
angestimmt haben und alle mitsangen. Ich möchte nur gerne wissen,
wer den ersten Ton angestimmt hat, aber der Vater weiß es nicht; er
sagt, man hatte den Eindruck, als hätten es alle zugleich getan.
Die Sozialdemokraten waren ja bei dieser ganzen Feier nicht dabei; das
ist schade; aber später waren sie sehr nett, das kommt nachher. Vorher
muß ich noch was Lustiges erzählen.
Als nämlich die Feierlichkeit vorbei war und die Hymne gesungen,
verließ der Kaiser den Saal. Im Vorbeigehen gab er noch einigen der
Herrn, wie z.B. dem Reichskanzler, dem Grafen Moltke und andern die
Hand. Unter diesen Herrn war auch ein Abgeordneter, ein Professor,
der trug nicht wie die Mehrzahl der Abgeordneten den schwarzen
Gehrock oder den Frack, sondern wie manche andere seine Uniform,
ich glaube als Major der Garde-Landwehr. Das fiel wohl dem Kaiser
auf; er sah ihn einen Augenblick an, drückte ihm die Hand und dann

machte er mit der geballten Faust eine drohende Geberde wie einen
Hieb nach unten und sagte zu dem Herrn: "Nun aber wollen wir sie
dreschen!"
Dies kräftige Wort hat ganz Deutschland so gefreut, daß es zur Losung
für den Krieg geworden ist und auf allen möglichen Postkarten sieht
man, wie wir uns das "Dreschen" ausmalen können.
Nachmittags um drei Uhr war dann die erste Reichstagssitzung.
Schon gleich der Anfang war großartig. Von all den umständlichen
Vorbereitungen, die sonst immer die ersten Stunden des Reichstags so
unerquicklich ausfüllen, wollten die Abgeordneten diesmal gar nichts
wissen. Kein Namensaufruf, keine Neuwahl von Präsident und
Schriftführern. Das war ihnen jetzt alles Nebensache. Einmütig standen
die Abgeordneten aller Parteien auf zum Zeichen, daß ihnen der frühere
Präsident und seine Mitarbeiter recht seien. Dann erhob sich der
Reichskanzler. Der Vater sagt, es sei bei seinen ersten Worten im
ganzen Haus eine Stille eingetreten, die man nicht mit einem lauten
Atemzug hätte stören mögen. Die ersten Worte des Reichskanzlers
waren: "Ein gewaltiges Schicksal bricht über Europa herein." Dann
legte er dar, wie es nur durch die Schuld unserer Feinde zum Krieg
gekommen sei. Wie die Russen sich so heimtückisch benommen hätten
und wie die Franzosen ohne Kriegserklärung in die Reichslande
eingedrungen seien, so daß wir nicht länger zuwarten konnten und nach
Belgien hinein mußten, weil uns sonst die Franzosen von dieser Seite
angegriffen hätten. Wir könnten mit reinem Gewissen in den Krieg
ziehen, in dem wir unser Höchstes verteidigen müssen.
Im Lauf der Rede gab es immer mehr begeisterte Zurufe. Ganz
hinreißend sei der Schluß gewesen, als der Reichskanzler mit erhobener
Stimme rief: "Unsere Armee steht im Felde, unsere Flotte ist
kampfbereit, hinter ihr ist das ganze deutsche Volk!" Da brauste es
durch den großen Saal und von den dicht gefüllten Tribünen; der
Beifall wollte garnicht enden und der Reichskanzler wiederholte noch
einmal die Worte: "das ganze deutsche Volk!" Dabei machte er eine
Handbewegung, mit der er über die Sozialdemokraten hinwies, die
ebenso stürmisch Beifall riefen, wie alle andern Parteien.

Bei der zweiten Sitzung, die noch am Abend gehalten wurde, ging's
ebenso großartig zu. Ich weiß aber nur noch das eine, daß alles, was die
Regierung beantragt hatte, einmütig ohne irgend einen Widerspruch
durchging; so z.B. wurden gleich 5 Milliarden für die Kriegsausgaben
bewilligt. Das ist doch eine Riesensumme, aber keine Partei, nicht
einmal die Sozialdemokraten, erhoben irgend einen Widerspruch; im
Gegenteil, einer der Sozialdemokraten, der Abgeordnete Haase, sagte:
"Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich."
Das freute mich am allermeisten. Am Schluß der Sitzung dankte der
Reichskanzler im Namen des Kaisers dem Reichstag und es gab noch
einmal einen stürmischen Beifall, als er sagte. "Was uns beschieden
sein mag, der 4. August 1914 wird bis in alle Ewigkeit einer der
größten Tage Deutschlands sein."
Der Vater war selbst ganz bewegt, als er uns von diesem Tag erzählte.
Er sagte, den größten Sieg hätten wir schon errungen, den über unsere
eigene Uneinigkeit; jetzt könnten wir guter Zuversicht sein. Der Kaiser
hat es ja auch in dem Ausruf: "An mein Volk" gesagt: "Noch nie ward
Deutschland überwunden, wenn es einig war."
Die Eltern sprachen dann noch davon, wie sich all unsere Feinde ärgern
werden, wenn sie in den Zeitungen die Berichte über diesen Reichstag
lesen. Sie rechnen immer auf unsere Uneinigkeit, das haben sie
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