heiligen, rührenden Szenen sind nichts anderes als ein wohlüberlegter Kunstgriff, durch Rührung zu wirken; etwa wie jene Bettelweiber in den Stra?en von London, die alle Vierteljahre kleine Kinder kaufen oder stehlen und mit den unglücklichen Zwillingen seit zehn Jahren weinend an der Ecke sitzen.
Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich euch noch eine kleine Geschichte erz?hlen. Es kam einst ein fremder Mensch in eine Stadt, der sich Zutritt in die gute Gesellschaft zu verschaffen wu?te. Dieser Mensch betrug sich von Anfang etwas linkisch, doch so, da? man manche seiner Manieren übersehen und zurechtlegen konnte. Er hielt sich gew?hnlich zu den Frauen und M?dchen, weil ihm das Gespr?ch der M?nner zu ernst war, und jene lauschten gerne auf seine Rede, weil er ihnen Angenehmes sagte. Nach und nach aber fand es sich, da? dieser Mensch seiner gemeineren Natur in dieser Gesellschaft wohl nur Zwang angetan hatte; er sprach freier, er schwatzte den Ohren unschuldiger M?dchen Dinge vor, worüber selbst die ?lteren h?tten err?ten müssen. Wie es aber zu gehen pflegt: das Lüsterne reizt bei weitem mehr als das Ernste, Sittliche; zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber offnem Ohr lauschten sie auf seine Rede, und selbst manche Zote, die für eine Bierschenke derb genug gewesen w?re, bewahrten sie in feinem Herzen. Der fremde Mann würde der Liebling dieses Zirkels. Es fiel aber den M?nnern nach und nach auf, da? ihre Frauen über manche Verh?ltnisse freier dachten als zuvor, da? selbst ihre M?dchen über Dinge sprachen, die sonst einem unbescholtenen Kinde von fünfzehn bis sechzehn Jahren fremd sein müssen. Sie staunten, sie forschten nach dem Ursprung dieser schlechten Sitten, und siehe, die Frauen gestanden ihnen unumwunden: "Es ist der liebenswürdige, angenehme Herr, der uns dieses gesagt hat." Viele der M?nner versuchten es mit Ernst und Warnung, ihn zum Schweigen zu bringen; umsonst, er schüttelte die Pfeile ab und plauderte fort. Die M?nner wu?ten nicht, was sie tun sollten; denn es ist ja gegen die Sitte der guten Gesellschaft, selbst einen verworfenen Menschen die Treppe hinabzuwerfen. Da versuchte einer einen andern Weg. Er setzte sich unter die Frauen und lauschte mit ihnen auf die Rede des Mannes und merkte sich alle seine Worte, Wendungen, selbst seine Stimme. Und eines Abends kam er, angetan wie jener Verderber, setzte sich an seine Seite, lie? ihn nicht zum Worte kommen, sondern erz?hlte den Frauen nach derselben Manier, mit nachgeahmter Stimme, wie es jener Mann zu tun pflegte. Da fanden die Vernünftigeren wenigstens, wie l?cherlich und unsittlich dies alles sei. Sie sch?mten sich, und als jener Mensch dennoch in seinem alten Ton fortfahren wollte, wandten sie sich von ihm ab; er aber stand beinahe allein und zog besch?mt von dannen.
"Wo Ernst nicht hilft, da nimm den Spott zur Hilfe," dachte jener, und wohl ihm, wenn es ihm gelang, den Wolf im Schafskleide zu verjagen!
Meine Freunde! Dasselbe, was in dieser Geschichte erz?hlt ist, dasselbe wollte auch der "Mann im Mond", und das war ja unsere erste Frage: er wollte den Erfinder der Mimili-Manier zu Nutz und Frommen der Literatur und des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte l?cherlich machen.
Wie er diesen Zweck verfolgte, ob es ihm gelingen konnte, ist der Gegenstand der folgenden Fragen.
II.
Haben wir bisher nachgewiesen und darüber gesprochen, welchen Zweck der "Mann im Monde" zu verfolgen hatte, indem wir den Gegenstand, gegen welchen er gerichtet war, nach allen Teilen auseinandersetzten, so kommt es uns zu, and?chtig miteinander zu betrachten, wie er diesen Zweck verfolgte.
Es gibt verschiedene Wege, wie schon in der Parabel vom angenehmen Mann angedeutet ist, verschiedene Wege, um ein Laster, eine b?se Gewohnheit oder unsittliche Ansichten aus der sittlichen Gesellschaft zu verbannen. Das erste und natürlichste bleibt immer, einen solchen Gegenstand mit Ernst, mit Gründen anzugreifen, seine Anh?nger von ihrem Irrtum zu überführen, seine Bl??e offen vor das Auge zu bringen. Diesen Weg hat man auch mit dem Claurenschen Unfug zu wiederholten Malen eingeschlagen. Ihr alle, meine Zuh?rer, kennet hinl?nglich jene ?ffentlichen Gerichte der Literatur, wo die Richter zwar, wie bei der heiligen Feme, verhüllt und ohne Namen zu Gericht sitzen, aber unverhüllt und unumwunden Recht sprechen; ich meine die Journale, die sich mit der Literatur besch?ftigen. Wie es in aller Welt bestechliche Richter gibt, so auch hier. Es gab einige freilich an Obskurantismus laborierende Bl?tter, welche jedes Jahr eine Fanfare bliesen zu Gunsten und Ehren Claurens und seines Neugeborenen. Dem Vater wie dem Kindlein wurde gebührendes Lob gespendet und das Publikum eingeladen, einige Taler als Patengeschenk zu spendieren. Doch zur Ehre der deutschen Literatur sei es gesagt, es waren und sind dies nur einige Winkelbl?tter, die nur mit Modeartikeln zu tun haben.
Bessere Bl?tter, bessere M?nner als jene, die um Geld lobten, scheuten sich nicht, so oft Claurens Muse in die Wochen kam, das Produkt nach allen Seiten zu untersuchen und der Welt zu sagen, was davon zu halten sei. Sie steigerten ihre Stimme, sie erh?hten
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