Klein Zaches, genannt Zinnober | Page 5

E.T.A. Hoffmann
Baron
Prätextatus von Mondschein, Besitzer des Gutes, in dessen Nähe jenes
Stift lag, dem er als Verweser vorstand, konnte daher nichts dagegen
einwenden, ungeachtet ihn die entsetzlichsten Zweifel quälten.
Vergebens war nämlich sein Mühen geblieben, in Rixners Turnierbuch
und andern Chroniken die Familie Rosengrünschön aufzufinden. Mit

Recht zweifelte er aus diesem Grunde an der Stiftsfähigkeit des
Fräuleins, die keinen Stammbaum mit zweiunddreißig Ahnen
aufzuweisen hatte, und bat sie zuletzt ganz zerknirscht, die hellen
Tränen in den Augen, doch sich um des Himmels willen wenigstens
nicht Rosengrünschön, sondern Rosenschön zu nennen, denn in diesem
Namen sei doch noch einiger Verstand und ein Ahnherr möglich. - Sie
tat ihm das zu Gefallen. - Vielleicht äußerte sich des gekränkten
Prätextatus Groll gegen das ahnenlose Fräulein auf diese - jene Weise
und gab zuerst Anlaß zu der bösen Nachrede, die sich immer mehr und
mehr im Dorfe verbreitete. Zu jenen zauberhaften Unterhaltungen im
Walde, die indessen sonst nichts auf sich hatten, kamen nämlich allerlei
bedenkliche Umstände, die von Mund zu Mund gingen und des
Fräuleins eigentliches Wesen in gar zweideutiges Licht stellten. Mutter
Anne, des Schulzen Frau, behauptete keck, daß, wenn das Fräulein
stark zum Fenster heraus niese, allemal die Milch im ganzen Dorfe
sauer würde. Kaum hatte sich dies aber bestätigt, als sich das
Schreckliche begab. Schulmeisters Michel hatte in der Stiftsküche
gebratene Kartoffeln genascht und war von dem Fräulein darüber
betroffen worden, die ihm lächelnd mit dem Finger drohte. Da war dem
Jungen das Maul offen stehen geblieben, gerade als hätt' er eine
gebratene brennende Kartoffel darin sitzen immerdar, und er mußte
fortan einen Hut mit vorstehender breiter Krempe tragen, weil es sonst
dem Armen ins Maul geregnet hätte. Bald schien es gewiß zu sein, daß
das Fräulein sich darauf verstand, Feuer und Wasser zu besprechen,
Sturm und Hagelwolken zusammenzutreiben, Weichselzöpfe zu
flechten etc., und niemand zweifelte an der Aussage des Schafhirten,
der zur Mitternachtsstunde mit Schauer und Entsetzen gesehen haben
wollte, wie das Fräulein auf einem Besen brausend durch die Lüfte fuhr,
vor ihr her ein ungeheurer Hirschkäfer, zwischen dessen Hörnern blaue
Flammen hoch aufleuchteten! - Nun kam alles in Aufruhr, man wollte
der Hexe zu Leibe, und die Dorfgerichte beschlossen nichts Geringeres,
als das Fräulein aus dem Stift zu holen und sie ins Wasser zu werfen,
damit sie die gewöhnliche Hexenprobe bestehe. Der Baron Prätextatus
ließ alles geschehen und sprach lächelnd zu sich selbst: "So geht es
simplen Leuten ohne Ahnen, die nicht von solch altem guten
Herkommen sind, wie der Mondschein." Das Fräulein, unterrichtet von
dem bedrohlichen Unwesen, flüchtete nach der Residenz, und bald

darauf erhielt der Baron Prätextatus einen Kabinettsbefehl vom Fürsten
des Landes, mittelst dessen ihm bekannt gemacht, daß es keine Hexen
gäbe, und befohlen wurde, die Dorfgerichte für die naseweise Gier,
Schwimmkünste eines Stiftsfräuleins zu schauen, in den Turm werfen,
den übrigen Bauern und ihren Weibern aber andeuten zu lassen, bei
empfindlicher Leibesstrafe von dem Fräulein Rosenschön nicht
schlecht zu denken. Sie gingen in sich, fürchteten sich vor der
angedrohten Strafe und dachten fortan gut von dem Fräulein, welches
für beide, für das Dorf und für die Dame Rosenschön, die
ersprießlichsten Folgen hatte.
In dem Kabinett des Fürsten wußte man recht gut, daß das Fräulein von
Rosenschön niemand anders war, als die sonst berühmte weltbekannte
Fee Rosabelverde. Es hatte mit der Sache folgende Bewandtnis:
Auf der ganzen weiten Erde war wohl sonst kaum ein anmutigeres
Land zu finden, als das kleine Fürstentum, worin das Gut des Baron
Prätextatus von Mondschein lag, worin das Fräulein von Rosenschön
hauste, kurz, worin sich das alles begab, was ich dir, geliebter Leser,
des breiteren zu erzählen eben im Begriff stehe.
Von einem hohen Gebirge umschlossen, glich das Ländchen mit seinen
grünen, duftenden Wäldern, mit seinen blumigen Auen, mit seinen
rauschenden Strömen und lustig plätschernden Springquellen, zumal da
es gar keine Städte, sondern nur freundliche Dörfer und hin und wieder
einzeln stehende Paläste darin gab, einem wunderbar herrlichen Garten,
in dem die Bewohner wie zu ihrer Lust wandelten, frei von jeder
drückenden Bürde des Lebens. Jeder wußte, daß Fürst Demetrius das
Land beherrsche; niemand merkte indessen das mindeste von der
Regierung, und alle waren damit gar wohl zufrieden. Personen, die die
volle Freiheit in all ihrem Beginnen, eine schöne Gegend, ein mildes
Klima liebten, konnten ihren Aufenthalt gar nicht besser wählen als in
dem Fürstentum, und so geschah es denn, daß unter andern auch
verschiedene vortreffliche Feen von der guten Art, denen Wärme und
Freiheit bekanntlich über alles geht, sich dort angesiedelt hatten. Ihnen
mocht' es zuzuschreiben sein, daß sich beinahe in jedem Dorfe,
vorzüglich aber in den Wäldern sehr oft die angenehmsten Wunder

begaben und daß jeder, von dem Entzücken, von der Wonne dieser
Wunder ganz umflossen, völlig an das Wunderbare glaubte und, ohne
es selbst zu wissen, eben deshalb ein froher, mithin guter Staatsbürger
blieb. Die guten Feen, die sich in freier
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