Katharina von Bora - Geschichtliches Lebensbild | Page 4

D. Albrecht Thoma
Hans war am preußischen
Hof so ärmlich gestellt, daß Luther für ihn dem Herzog Albrecht
„beschwerlich sein“ und schreiben mußte: „Nachdem meiner
Käthen Bruder Hans von Bora nichts hat und am Hofe Kleid und
Futter genug nicht hat, wollten E.F.Gn. verschaffen, daß ihm jedes
Vierteljahr ein paar Gulden würden zugeworfen, damit er auch Hemd
und andere Notdurft bezahlen möchte.[17]“

Katharina selbst endlich hat, wie es scheint, nicht einmal ein
Leibgeding mit ins Kloster bekommen, wie es andere, wohlhabendere
adlige Fräulein mit durchschnittlich 3 Schock[18] jährlich erhielten;
und auf ihre Einsegnung konnte sie nur 30 Groschen spenden,
während neue Nonnen wohl 100 oder wenigstens 40 Groschen
opferten. Bei ihrer Heirat konnte sie keine Mitgift in die Ehe
bringen[19].
So ist also Katharina von Bora — wo es auch sei — in gar engen
Verhältnissen aufgewachsen, und wenn man sich das junge
Mädchen etwa als zartes Ritterfräulein am Burgfenster mit dem
Stickrahmen oder als Jägerin auf stolzem Zelter vorstellen wollte, so
gäbe das ein gar falsches Bild. Wir haben sie uns vielmehr zu denken
wie eine junge Bauerntochter auf dem Hofgut schaltend und waltend,
der Mutter an die Hand gehend in der Wirtschaft, zugleich als die
Aelteste, vielleicht als einziges Töchterlein, auch eine gewisse
Selbständigkeit und Herrschergabe entfaltend, wie sie sich später in
der reifen Frau entwickelt zeigt.
Freilich ein wirkliches anschauliches Bild ihrer Kindheit zu entwerfen
vermögen wir nicht, dazu fehlen alle Anhaltspunkte, alle Formen und
Farben. Wir mögen dies bestimmte Bild aus der ersten Jugendzeit, in
die wir uns bei einem Menschenleben so gerne versenken, bei
Katharina schmerzlich vermissen, da sich die ganze Umgebung, der
Hintergrund der Landschaft und selbst die notwendige Staffage von
Vater und Mutter und alles, was auf ein junges Menschenkind einwirkt,
bis auf die Namen verwischen und verschwinden, während zum
Beispiel bei ihrem Gatten, dem Doktor Luther, Elternhaus, Vater,
Mutter, Geschwister, Gespielen, Heimat und Schule so deutlich und
plastisch sich herausheben, daß sie ein gar lebendiges und
farbenreiches Gemälde geben. Aber man kann sich doch auch wieder
über diesen Mangel leicht trösten.
Denn wie es scheint, sind die Eltern beide früh gestorben. Sobald
Katharina ins Licht der Geschichte tritt mit ihrer Heirat, ja schon bei
ihrer Entweichung aus dem Kloster, ist jede Spur von ihnen
verschwunden: die Eltern erscheinen nicht bei ihrer Hochzeit, wie die
Eltern von Luther; sie werden um ihre Einwilligung nicht gefragt,
worauf doch Luther sonst so großes Gewicht legt; ja sie kommen
schon nicht in Betracht bei der Flucht aus dem Kloster, als es sich um

eine Unterkunft handelt; und auch während der ganzen Klosterzeit
kommt Vater und Mutter nicht zum Vorschein, wie es doch oftmals bei
Klosterjungfrauen der Fall ist. Vielleicht ist gerade der Eltern früher
Tod für Katharina die Veranlassung gewesen, so bald ins Kloster
einzutreten.
Wie dem aber auch sei, die geistige Entwicklung des jungen
Fräuleins fällt nicht in das Elternhaus. Denn sehr früh kam
Katharina von daheim fort und ihre bewußte Jugendzeit verbrachte
sie fern von der Heimat im Jungfrauen-Stift.
So fällt Katharinas Eintritt, obwohl sie 15 Jahre jünger war, etwa in
dieselbe Zeit, als der Erfurter Magister Martin Luther die Studien
verließ und in das Kloster der Augustiner ging.

2. Kapitel
Im Kloster.
Wenn heutzutage ein armes Mädchen aus besseren Ständen
versorgt werden soll, das nicht auf große Mitgift und darum auf
Verheiratung rechnen und somit dem natürlichen weiblichen Beruf,
dem Familienleben, voraussichtlich entsagen muß, so kommt es in
eine Anstalt und bildet sich zur Lehrerin oder dergleichen aus. Im
Mittelalter kam so ein armes Fräulein, dessen Ausstattung die
schmalen Erbgüter der Stammhalter und Schwestern noch mehr
geschmälert hätte, zur Versorgung ins Kloster. Die alten Klöster
(der Benediktiner, Cisterzienser, Bernhardiner) wurden so
Versorgungsanstalten[20]. Es waren adelige Stifter, fromme Anstalten
der Vorfahren, worin „ehrsame“ (d.h. adelige) Jungfrauen Gott
dienen und für die Seelen der Lebenden und Verstorbenen beten
sollten[21]. Statt des jetzigen „geistigen“ Berufs zum Wirken in
der Welt für lebendige Menschen diente damals der „geistliche“
Beruf zur Verehrung Gottes und der Heiligen, zum ewigen Seelenheil
der Lebenden, namentlich aber der toten Anverwandten im Fegefeuer.
Statt der heutigen freien und doch nicht immer freiwilligen
Entschließung zu einem selbstgewählten Beruf, der freilich immer
nur bedingungsweise und auf Zeit ergriffen wird, galt es damals die
„ewige“ unwiderrufliche „Vergelübdung“ auf Lebenszeit;
statt der „Emanzipation“, welche einer außer dem
Familienleben stehenden Jungfrau heute mehr oder weniger wartet,

harrte ihrer damals die „Klausur“, die Einschließung in die
Klostermauern in einem streng geschlossenen Verband, dem
„Orden“, unter dem straffen Bande der „Regel“, der
Klostersatzungen.
Nach Begabung und Neigung zu diesem geistlichen Beruf wurde da
wenig gefragt, und es konnte auch keine Rücksicht darauf
genommen werden[22]. Dazu war in diesen Zeiten die elterliche
Autorität, namentlich über Töchter, viel zu groß, und der
Familiensinn in solchen adeligen Häusern war ein zu stark
ausgeprägter, als daß sich ein Glied in individueller Neigung gegen
das Herkommen und die Familiensitte wie
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