Kater Martinchen | Page 7

Ernst Moritz Arndt
ihr freundlich zunickte, als wolle es mit der
Urenkelin sprechen. Sie aber sprach kein Wort zu ihm, sondern winkte
ihm nur leise mit der Hand. Und auf ihren Wink hob der Geist sich
hinweg und verschwand, und statt seiner kam eine lange Schar prächtig
gekleideter Diener und Dienerinnen, welche sich in stummer Ehrfurcht
hinter sie stellten, als erwarteten sie, was die Herrin befehlen würde.
Svanvithe aber säumte nicht lange, bedenkend, wie kurz die
Mittsommersnacht ist, und sie nahm die Fülle der Edelsteine und
Diamanten und winkte den Dienern und Dienerinnen hinter ihr, daß sie
ebenso täten; auch diese füllten Hände und Taschen und Zipfel und
Geren der Kleider mit Gold und edlen Steinen und kostbaren
Geschirren. Und noch ein Wink, und die lange Reihe wandelte, und die
Prinzessin schritt voran der Treppe zu, als wenn sie herausgehen wollte;
jene aber folgten ihr. Und schon hatte sie viele Stufen vollendet und
sah schon das dämmernde Morgenlicht und hörte schon den
Lerchengesang und den Hahnenkrei, die den Tag verkündeten--da ward
es ihr bange, ob die Diener und Dienerinnen ihr auch nachträten mit
den Schätzen. Und sie sah sich um, und was erblickte sie? Sie sah den
kleinen grauen Mann sich plötzlich in einen großen schwarzen Hund
verwandeln, der mit, feurigem Rachen und funkelnden Augen gegen sie
hinaufsprang. Und sie entsetzte sich sehr und rief: "Oh Herr je!" Und
als sie das Wort ausgeschrien hatte, da schlug die Tür über ihr mit
lautem Knalle zu, und die Treppe versank, und die Diener und
Dienerinnen verschwanden, und alle Lichter des Saales erloschen, und
sie war wieder unten am Boden und konnte nicht heraus. Der alte
König aber, da sie nicht wiederkam, grämte sich sehr; denn er dachte,
sie sei entweder umgekommen bei dem Hinabsteigen zu dem Schatze
durch die Tücke der bösen Geister, die unter der Erde ihre Gewalt
haben, oder sie habe sich der Sache überhaupt nicht unterstanden und
laufe nun wie eine arme, verlassene Streunerin durch die Welt. Und er
lebte nur noch wenige Wochen nach ihrem Verschwinden; dann starb

er und ward begraben.
Der Prinzessin Svanvithe war dieses Unglück aber geschehen, weil sie
sich umgesehen hatte, als sie weggehen wollte, und weil sie gesprochen
hatte. Denn über die Unterirdischen hat man keine Gewalt, wenn man
sich umsieht oder spricht, sondern es gerät dann fast immer unglücklich,
wovon man viele Beispiele und Geschichten weiß.
Und es waren viele Jahre vergangen, vielleicht hundert Jahre und mehr,
und alle die Menschen waren gestorben und begraben, welche zu der
Zeit des alten Königs und der schönen Svanvithe gelebt hatten, und
schon ward hie und da von ihnen erzählt wie von einem alten, alten,
längst verschollenen Märchen; da hörte man hin und wieder, die
Prinzessin lebe noch und sitze unter dem Garzer Wall in der
Schatzkammer und müsse nun mit dem alten, grauen Urgroßvater die
Schätze hüten helfen. Und kein Mensch weiß zu sagen, wie dies hier
oben bekannt geworden ist. Vielleicht hat der kleine graue Mann, der
zuzeiten rundgeht, es einem verraten, oder es hat es auch einer der
hellsichtigen Menschen gesehen, die an hohen Festtagen in besonderen
Stunden geboren sind und die das Gras und das Gold in der Erde
wachsen sehen und mit ihren Augen durch die dicksten Berge und
Mauern dringen können. Und es war viel erschollen von der Geschichte
und von dem wundersamen Versinken der Prinzessin unter die Erde,
und daß sie in der dunkeln Kammer sitze und noch lebe und einmal
erlöst werden solle. Sie kann aber, sagen sie, erlöst werden, wenn einer
es wagt, auf dieselbe Weise, wie sie einst in der Johannisnacht getan
hat, in die verbotene Schatzkammer hinabzufallen. Dieser muß sich
dann dreimal vor ihr verneigen, ihr einen Kuß geben, sie an die Hand
fassen und sie still herausführen; denn kein Wort darf er beileibe nicht
sprechen. Wer sie herausbringt, der wird mit ihr in Herrlichkeit und in
Freuden leben und so viele Schätze haben, daß er sich ein Königreich
kaufen kann. Darin wird er dann fünfzig Jahre als König auf dem
Throne sitzen und sie als seine Königin neben ihm, und werden gar
liebliche Kinder zeugen; der kleine graue Spuk wird dann aber auf
immer verschwinden, wann sie ihm die Schätze weggehoben haben.
Nun hat es wohl so kühne und verwegene Prinzen und schöne Knaben
gegeben, die mit der Johannisrute in der Hand zu ihr hinabgekommen

sind; aber sie haben es immer in etwas versehen, und die Prinzessin ist
noch nicht erlöst. Ja, wenn das ein so leichtes Ding wäre, wieviele
würden Lust haben, eine so schöne Prinzessin zu freien und Könige zu
werden! Die Leute erzählen aber, der greuliche schwarze Hund ist an
allem schuld; keiner hat es mit ihm aushalten können, sondern wenn sie
ihn sehen, so müssen sie aufschreien, und dann schlägt die Türe zu, und
die Treppe versinkt, und alles ist wieder vorbei.
So
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