Kater Martinchen | Page 6

Ernst Moritz Arndt
hast du mich von deinem
Angesicht verstoßen und von allem Lebendigen weggesperrt. Ich
beteure aber vor dir und vor Gott, daß ich unschuldig leide und daß der
polnische Prinz aus eitel Tücke und Arglist all den schlimmen Schein
auf mich gebracht hat. Und nun hat Gott, der sich mein erbarmen will,
mir einen Gedanken ins Herz gegeben, wodurch ich meine unbefleckte
Jungfrauschaft beweisen und dich und mich und dein ganzes Reich zu
Reichtum und Ehren bringen kann. Du weißt, es geht die Sage, unter
dem alten Schloßwalle zu Garz, wo unsere heidnischen Ahnen weiland
gewohnt haben, liege ein reicher Schatz vergraben. Diese Sage, die mir
in meiner Kindheit oft erzählt ist, meldet ferner, dieser Schatz könne
nur von einer Prinzessin gehoben werden, die von jenen alten Königen
herstamme und noch eine reine Jungfrau sei: wenn nämlich diese den
Mut habe, in der Johannisnacht zwischen zwölf und ein Uhr nackt und
einsam diesen Wall zu ersteigen und darauf rückwärts so lange hin und
her zu treten, bis es ihr gelinge, die Stelle zu treffen, wo die Tore und
Treppen verschüttet sind, die zu der Schatzkammer hinabführen.
Sobald sie diese mit ihren Füßen berühre, werde es sich unter ihr öffnen,
und sie werde sanft heruntersinken mitten in das Gold und könne sich
von den Herrlichkeiten dann auslesen, was sie wolle, und bei
Sonnenaufgang wieder herausgehen. Was sie aber nicht tragen könne,
werde der alte Geist, der den Schatz bewacht, nebst seinen Gehilfen
nachtragen. Hierauf habe ich nun meine Hoffnung eines neuen Glückes
gestellt, ob es mir etwa aufblühen wolle; laß mich denn, Herr König,
mit Gott diese Probe machen. Ich bin ja doch einer Toten gleich, und
ob ich hier begraben bin oder dort begraben werde, kann dir einerlei
sein."
Sie hatte die Gebärde, als wolle sie noch mehr sagen; aber bei diesen
Worten stockte sie und konnte nicht mehr, sondern schluchzete und

weinte bitterlich. Der König aber winkte dem Wächter leise zu, der sie
hereingeführt hatte, und alsbald kamen Frauen und Dienerinnen herbei
und trugen sie hinaus von dem Könige weg in ein Seitengemach. Und
nicht lange, so ward der Wächter wieder zu dem Könige gerufen, und
er brachte ihr Speise und Trank, daß sie sich stärkte und erquickte, und
zugleich die Botschaft, daß der König ihr die gebetene mitternächtliche
Fahrt erlaube. Bald trugen Dienerinnen ihr ein Bad herein nebst
zierlichen Kleidern, daß sie sich bedecken konnte, denn sie war fast
nackend. Und sie lebte nun wieder in Freuden, obgleich sie ganz
einsam saß und gegen niemand den Mund auftat--auch den Dienern
und Dienerinnen war das Sprechen zu ihr verboten, sie wußten auch
nicht, wer sie war, noch wie sie in das Schloß gekommen, denn von
denen, die sie kannten, ward niemand zu ihr gelassen denn allein der
Wächter, der ihr immer die Speise gebracht hatte im Turme. Und ihre
Schöne fing wieder an aufzublühen, wie blaß und elend sie auch aus
dem Turm gekommen war; und alle, die sie sahen, entsetzten sich über
ihre Huld und Lieblichkeit, und sie deuchte ihnen fast einem Engel
gleich, der vom Himmel in das Schloß gekommen sei.
Und als vierzig Tage vergangen waren und der Tag vor Johannis da
war, da ging sie zu dem Könige, ihrem Vater, ins Gemach und sagte
ihm Lebewohl. Und der alte Herr neigte noch einmal wieder seinen
weißen Kopf über sie und weinte sehr, und sie sank vor ihm hin und
umfaßte seine Knie und weinte noch mehr. Und darauf ging sie hinaus
und verkleidete sich so, daß niemand sie für eine Prinzessin gehalten
hätte, und trat ihre Reise an. Die Reise war aber nicht weit von Bergen
nach Garz, und sie ging in der Tracht eines Reiterbuben einher. Und in
der Nacht, als es vom Garzer Kirchturm zwölf geschlagen hatte, betrat
sie einsam den Wall, tat ihre Kleider von sich, also daß sie da stand,
wie Gott sie erschaffen hatte, und nahm eine Johannisrute in die Hand,
womit sie hinter sich schlug. Und so tappte sie stumm und rücklings
fort, wie es geschehen mußte. Und nicht lange war sie geschritten, so
tat sich die Erde unter ihren Füßen auf, und sie fiel sanft hinunter, und
es war ihr, als würde sie in einem Traum hinabgewiegt; und sie fiel
hinab in ein gar großes und schönes und von tausend Lichtern und
Lampen erleuchtetes Gemach, dessen Wände von Marmor und
diamantenen Spiegeln blitzten und dessen Boden ganz mit Gold und

Silber und Edelsteinen beschüttet war, daß man kaum darauf gehen
konnte. Sie aber sank so weich auf einen Goldhaufen herab, daß es ihr
gar nicht weh tat. Und sie besah sich alle die blitzende Herrlichkeit in
dem weiten Saale, wo die Schätze und Kostbarkeiten ihrer Ahnherren
von vielen Jahrhunderten gesammelt und aufgehängt waren; und da sah
sie in der hintersten Ecke in einem goldenen Lehnstuhl das kleine graue
Männchen sitzen, das
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